Manche Szenen wirken wie versteinert. Alles ist seltsam und vertraut in der gegenständlichen Malerei von Paul Schwietzke. Seine Motive verhalten sich im Bildgeschehen zusammengehörig, sie sind additiv zueinander gesetzt und perspektivisch in die Bildtiefe geschichtet. Etliche dieser Gemälde sind menschenleer, dominiert von Architektur oder derartigen Konstruktionen. Oder als Landschaften wie verwunschen, zugewachsen und umso mehr wie seit Ewigkeiten unberührt. Und wenn Menschen, mitunter bildfüllend in den Vordergrund gesetzt, vorkommen, dann wirken sie artifiziell und sind mit ihren Gesten fast maschinenhaft eingefroren, die Gesichter wie Masken gemeißelt. Eine Stille und Statuarität liegt über diesen Situationen, gesteigert mittels symmetrischer Anordnungen und einer Paarigkeit im kompositorischen Ausgleich. Perspektivische Fluchten führen den Blick durch das Geschehen mit ihren dreidimensional anmutenden Ereignissen, die um einzelne Sujets und ihr Verhalten zueinander kreisen. Geschichten sind angerissen, mehr nicht. Eher nicht, sagt Paul Schwietzke im Atelier. Am liebsten sei ihm, wenn sich die Bilder von ihm als Maler lösen. Er selbst vermeidet jede Interpretation, sie seien nicht politisch, nicht gesellschaftlich. Die Titel kommen später, und auch sie sollen nicht überbewertet werden.
Das trifft auch auf das Gemälde „Erwartung“ (2023) zu. Es hängt im Stadtmuseum vorübergehend an der Stelle, an der ansonsten das Bild „Im Schützengraben“ (1918) von Gert Heinrich Wollheim zu sehen ist. Irgendwie passt es – unabhängig davon entstanden – zu diesem (dokumentarisch historischen) Kontext der Ausstellungswand. Paul Schwietzke hat den Horizont sehr tief gesetzt. Der Anteil des lichten blauen Himmels überflutet das Bild regelrecht mit seiner Helligkeit; die Schatten fallen nach links. Die Farbpalette ist stumpf, zwei Hauptfarben kontrastieren, alle weiteren Farben sind dem untergeordnet. Das Querformat setzt sich nach links wie nach rechts – im Anschnitt des einen bunkerartigen, fensterlosen Gebäudes – fort. Zu den Motiven in der linken Hälfte finden sich Entsprechungen in der rechten. Zwei – unterschiedliche – Säulen halten die Bildhälften im Gleichgewicht, die am Himmel mit einer emblematisch wirkenden Form wie mit einer Kompassnadel ausgelotet sind, welche an einen Vogel erinnert, der auf die Erde niederfährt und biblische Konnotationen weckt, aber genauso Formspiel aus Positiv und Negativ vor dem in sich nuancierten Hellblau ist. Aufgenommen wird die Formsprache in den beiden scheibenartigen Sternen, die Schwietzke innerhalb seines Werkes vor über zwei Jahrzehnten aus Sonnenscheiben abgeleitet und dann immer wieder verwendet hat. Sie lehnen bzw. sind auf ihren Spitzen aufgerichtet und korrespondieren über den Graben mit den Stufen hinweg. Sie vereinen organische Formverläufe und technoid kantige Strukturen und verhalten sich zwischen Staffage und Akteuren und interagieren lapidar mit den Säulen und den Stäben, die sich von vorne in die Tiefe hangeln.
Die Wiederholungen in der Darstellung steigern das Konstruierte, Künstliche der hier vorgestellten Welt, die aus entkernten Versatzstücken unserer Realität und der geschichtlichen oder mythologischen Überlieferung besteht. Auch wenn das Geschehen vorne abgeschnitten ist und so den Eindruck vermittelt, mitten drin zu stehen, so sind die blockartigen Gebäude wie auf einer Bühne nach hinten gerückt. Im Zentrum aber steht, ganz unspektakulär und zierlich, ein runder Tisch mit zwei Stühlen. Er ist ungedeckt, Menschen sind nicht zu sehen, abgesehen davon, dass all das von ihnen geschaffen und arrangiert ist. Einen konkreten Hinweis auf ihre Existenz liefern die zurückgesetzt in der Mauer ausgesparten Figuren. Im Mittelgrund tritt ein ockerfarbener Weg bildparallel zwischen den Gebäuden hervor und biegt ab in die Tiefe. Er führt durch eine Reihe riesig wirkender stilisierter Zypressen zur Silhouette einer Ortschaft, bei der ein weiteres Mal die Vertikale aufgenommen ist …
Solche Wege kommen leitmotivisch in Schwietzkes Oeuvre vor, ebenso wie ein tiefer Horizont, abweisende graue Gemäuer und verschachtelte Raumanlagen. Vereinzelt erfolgt die Ansicht von oben mitten in das eingerichtete Gebäude; die leeren Fenster verbinden das Interieur mit einer üppigen Natur. In anderen Werkphasen wachsen fleischige Pflanzen im Vordergrund in die Höhe und ermöglichen kaum den Durchblick. Immer wieder setzt Schwietzke der Horizontalen die Vertikale entgegen und stellt so eine Verbindung von Erde und Himmel her, sei es mit Bäumen oder (bevorzugt kannelierten) Säulen. Er leitet den Blick des Betrachters durch schräg platzierte riesige Tore, er stellt in den Weg und führt durch die Landschaft. Die Interieurs können mit Kachelböden ausgestattet sein, und plötzlich scheint es, als blicke man in eine Puppenstube, so wie die Figuren an Marionetten erinnern können. Mitunter sind sie wie aus Dreiecken oder kantigen Maschinenteilen zusammengesetzt. Meist scheinen sie tönern, sind ganz in einen Farbton getaucht und in ihrer Aktivität immens präsent – Paul Schwietzke merkt an, immer wieder erfahre er, dass Betrachter die Figuren wie auf dem Weg in die Versteinerung empfinden.
Natürlich lassen sich seine Werke insgesamt dem Surrealismus zuordnen. 1967 hat er erstmals Werke von Max Ernst gesehen, zunächst noch als Abbildung, aber für ihn ein „Schlüsselerlebnis“. Hieronimus Bosch ist ein weiterer Künstler, der ihn früh bewegt. Weniger wichtig, aber rückblickend nicht von der Hand zu weisen, sind die Parallelen zur Pittura metafisica, Yves Tanguy, Magritte oder Delvaux, und über den Surrealismus hinaus vielleicht auch zum Phantastischen Realismus. Auch Schwietzke verweist mit seiner Malerei auf das Unterbewusste – er selbst spricht in einem Interview bei seinen Bildern von „eine[r] Art Schwelle zwischen Traum und Wirklichkeit“ (Düsseldorf 2009). Er reflektiert und komprimiert in seinen Bildern kollektive Erfahrungen, in denen individuelle Erinnerungen zu allgemeingültigen Chiffren führen, die er in seinen Bildern noch variiert.
Schon seit Jahrzehnten hat er sein Atelier im Atelierhaus an der Sittarder Straße. Durch das Fenster schaut er von unten auf den Friedhof mit den verwitterten Gräbern und seinem alten Baumbestand. Das Atelier selbst wirkt atmosphärisch dicht durch seine trompe-l’oeil-Malerei an den Wänden, den Gemälden darüber und auf der Staffelei. Hier organisiert er auch Diskussionsrunden zu Fragen der Wahrnehmung und aus der Esoterik, unabhängig von seiner Malerei. Er hat seine Erfahrungen und Theorien unter dem Begriff „Sondertau“ – als abgelagerten Tau –theoretisch ausformuliert. Paul Schwietzke wurde 1952 in Düsseldorf geboren und ist hier aufgewachsen. Nach Privatstudien bei Hannes Loos und Woytek Fangor hat er ab 1973 an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und bei dem informellen Maler K.O. Götz als Meisterschüler abgeschlossen und anschließend, weil Götz in den Ruhestand trat, für das Graduiertenstudium die Klasse von Konrad Klapheck besucht. In seiner Werkmonographie, die Walter Brune 2009 herausgegeben hat, sind Bilder seit Mitte der 1970er Jahre – also bereits aus der Studienzeit – zu sehen, schon da figürlich und in realistischer Darstellung mit weiten Plätzen, die in alle Richtungen fluchten und eine Temperierung der Leere erzeugen. Schon bald drohen die Exterieurs in ungeklärte Orte umzukippen und nun im Zwischenreich von Vergangenheit und Gegenwart das Verschwinden oder die Versteinerung des Menschen im Funktionieren schildern.
Aber das ist noch nicht alles. Auch wenn Schwietzke überwiegend realistisch malt, so arbeitet er partienweise abstrakt. Röhren erweisen sich in diesen Phasen als expressiv gestische Schwünge mit dem Pinsel. Zeitweilig wechselt er ganz ins Gegenstandsfreie mit großen Farbflächen, die ineinander verzahnt sind. Teils besitzen sie einzelne kleinen Binnenformen, die etwa an eine Mond- oder Sonnenscheibe erinnern. Komplementäre Farbflächen stoßen aufeinander und evozieren ein pulsierendes Volumen, zwischen Fläche und Körperlichkeit vermittelnd. Und in dieser Abstraktion fällt auf, wie sehr auch die gegenständlichen Bilder in ihrer Diszipliniertheit Ableitungen aus der Geometrie sind, wie Schwietzke Ordnung in der Unordnung bewahrt und höhere formale Gesetzmäßigkeiten herausarbeitet, im Zueinander von Verknappung und Fülle.
Paul Schwietzke ist beteiligt bei:
„Lückenfüller. Interventionen im Stadtmuseum“, bis 11. August im Stadtmuseum an der Berger Allee.
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