Ein gerade erschienener Band mit Short Storys – angeblich die letzten – des vor 15 Jahren auch hierzulande entdeckten Richard Yates (1926–1992) zeigt nochmal, warum es richtig war, nach seinem bekanntesten Roman „Zeiten des Aufruhrs“ auch seine anderen Bücher (insgesamt zehn) einem deutschen Publikum zugängig zu machen. Yates ist bzw. war nie ein Mann für das große Drama, für spektakuläre Abstürze oder apokalyptisch inszenierte Debakel, vielmehr ein Autor der leisen Töne, einer, der die Sollbruchstellen menschlicher Beziehungen aufspürt und akribisch ihren kleinen Verwerfungen nachgeht. Gerade sie sind es nämlich, die am Ende wie eine Art Katalysator wirken, Dinge ins Rollen bringen, verantwortlich werden für Veränderungen, mit denen seine leicht neurotisch wirkenden Protagonisten fortan leben müssen.
Gleich die erste Geschichte, in der zwei amerikanische Veteranen des Zweiten Weltkriegs, Miller und Brace, auf einer Party ihre Erlebnisse an einem Kanal irgendwo in Deutschland austauschen, zeigt dies. Dabei geht es weniger um eventuelle Zweifel über die geschilderten Abläufe beim jeweiligen Gegenüber (beide lagen zufällig am selben Kanal, der überquert werden sollte, erlebten die Ereignisse aber auf ganz verschiedene Art und Weise), sondern darum, wie die Dinge bei Leuten, die den beiden Versionen zuhören, ankommen, allen voran bei Millers Frau Betty. Die findet die Geschichte von Brace viel interessanter als die ihres Ehemanns. Am Ende wirft sie ihm vor, sich von Brace, diesem Angeber, „total in den Schatten“ habe stellen lassen, sie betont es gleich zweimal. Man spürt sogleich eine Schieflage, etwas Unangemessenes, etwas, das bislang unterdrückt war, muss sich Luft machen, drängt jäh nach außen.
Interessant auch der Fall des Rechnungsprüfers George Pollok: Nachdem seine Frau ihn verlassen hat, laufen die Dinge ziemlich unrund für ihn, seine Entourage im Büro scheint ihm freilich beizustehen, man lobt ihn oder den Artikel, den er geschrieben und veröffentlicht hat, dabei sieht das Ganze nach einer Komödie aus, die nur er, Pollock, nicht als solche zu erkennen vermag. Wie sehr ihm das plötzliche Alleinsein trotz gegenteiliger Bekundungen zusetzt, spiegelt sich in seinen erneuten Versuchen, Kontakt herzustellen. Die Bedienung in einer Bar reizt ihn, und so wartet er, bis sie Feierabend hat, um sie direkt anzusprechen, sie zu begleiten, einzuladen, was auch immer. Sie lehnt seine plumpen Avancen aber ab. Was sich dann abspielt, ist pure Entblößung und der unglaubliche Bankrott sämtlicher Kontrollmechanismen: Er greift nach ihr, sie muss sich losmachen, sie flieht, er läuft ihr verzweifelt hinterher, bis sie in einer U–Bahn–Station verschwindet.
Yates bietet uns keine spektakulären Geschichten, der ganze Beziehungsklüngel und die damit einhergehenden Missverständnisse und Minikränkungen geraten ihm aber sehr finessenreich. Aufgrund eines ausgeprägten Vorurteilschemas kommt es bei diesen Figuren immer wieder zu Fehlurteilen, sie imaginieren Reaktionen ihres Gegenübers, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. In der Geschichte „Ein genesendes Selbstbewusstsein“ sehen wir Bill, der nach einer Zeit im Krankenhaus wieder zu Hause ist. Die alltäglichen Abläufe sind ihm noch nicht wieder selbstverständlich: seine Hände zittern, Tassen gehen zu Bruch. Am Ende sollen sich seine ganzen Mutmaßungen als die Chimären eines überspannten Geistes zu erkennen geben, was wiederum zeigt: Schon der normale Alltag kann für die Figuren eines Richard Yates die reine Hölle bedeuten.
Richard Yates: Eine letzte Liebschaft. Short Storys.
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. DVA, München 2016, 193 S., 19.99 €
aus biograph 10/2016
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