Im Mittelpunkt des mit dem Booker–Preis ausgezeichneten Romans Damon Galguts steht die Familie Swart, ein bunter, heterogener Haufen von Leuten, die aus Anlass der Beerdigung der recht jung verstorbenen Mutter zusammentreffen; rasch wird klar, dass diese Zusammenkunft eine Reihe verborgener Konflikte zum Aufbrechen bringt.
Im eigentlichen Zentrum steht die 13–jährige Amor. Sie ist (und bleibt) die einzig authentische Figur in dieser Familie, ein Ausbund moralischer Integrität und diejenige, die immer wieder auf Defizite hinweist. Tante Marina zeigt sich offen antisemitisch; Amors Vater Manie werden zahlreiche Affären nachgesagt, wobei dann nicht einmal sicher ist, ob Amor überhaupt sein Kind ist. Die schwarze Haushälterin Salomé gerät eher ungewollt in den Fokus, weil Amor die versammelte Familie immerzu an das (titelgebende) Versprechen erinnert, das ihr, Salomé, einst gegeben wurde: Im Falle des Ablebens Rachels sollte sie ein kleines Haus im Umland erben. Nun wehren sich alle vehement bei der Umsetzung dieses Versprechens.
Es spiegeln sich in diesem Mikrokosmos die alten Probleme eines Landes, das nach Ende der Apartheit sein gesamtes Selbstverständnis zu überprüfen hat – und sich damit schwertut. Der politische Zustand Südafrikas in dieser Zeit ist prekär, von den allseitigen, nur nebenbei erwähnten Problemen wie Gewalt in den townships, den täglichen Überfällen und Morden, einmal abgesehen, zeigt sich überall verkrustetes Besitzstanddenken, Rassismus, und nicht zuletzt: Abschottung im Umgang mit Minderheiten.
Galgut kann dies an der strukturellen Disharmonie einer einzigen Familie, in der keiner bereit ist dazulernen, festmachen. Bei weiteren Begegnungen im Laufe der Zeit zeigt sich, dass die jeweiligen Bruchlinien bloß neu kartografiert wurden, vornehmlich die Älteren (und Weißen) tun sich nach wie vor schwer mit der Veränderung, die sich durch das Ende der Apartheit und den Wegfall der Privilegien ergeben hat. Als der Vater an den Folgen eines Schlangenbisses stirbt, geht es, natürlich, um sein Vermächtnis, und schon rücken egoistische Begehrlichkeiten wieder mächtig in den Vordergrund.
Eine Menge Tragik kommt hinzu. Amors Schwester Astrid wird bei einem Überfall erschossen, kurz zuvor hatte sie bei einem höchst bigotten Priester noch ihre Beichte wegen einer Affäre ablegen wollen, der dieses Ansinnen aber mit den Worten abgelehnt hatte, sie müsse zunächst mit sich „ins Reine kommen“. Ihr Bruder Anton wird sich im betrunkenen Zustand den Kopf wegschießen, was in der Familie aber nicht als allzu großer Verlust registriert wird: „(…) selbst die Menschen, die ihm nahe waren, standen ihm fern“. Da er durch eigene Hand stirbt, zahlt die Versicherung nicht, seine Frau Desirée kann nichts erben. Eine Anwältin rät, die Farm zu verkaufen, doch dafür braucht es Amors Einwilligung, was einmal mehr auf Widerstand stößt. Dabei könnte Amor selbst, bliebe sie auf der Farm, Geld aus einem Treuhandfond bekommen. Ihre Einwilligung knüpft sie schließlich an die Bedingung, dass das uralte Versprechen in Bezug auf Salomé eingelöst wird, davon abgesehen sei sie bereit, auf alles zu verzichten. Salomé selbst ist mittlerweile eine alte Frau, 30 Jahre sind seit dem einstigen Versprechen vergangen, ihre Zukunft knapp bemessen; das Problem wurde, solange es ging, einfach ausgesessen.
Ein Roman, der unter die Haut geht und durch eine auffallend realistische, manchmal auch drastische Sprache besticht. Er könnte ein wunderbares Drehbuch abgeben für einen Film von A. G. Iñárritu („Babel“, „21 Gramm“), wenn die verhandelten Momente – Verstrickung, Schicksal, eigenwillige Verbohrtheit oder Unbelehrbarkeit – sich zu einer hochdramatischen Synthese verdichten.
Damon Galgut: Das Versprechen. Roman. Aus dem südafrikanischen Englisch von Thomas Mohr. Luchterhand, München 2021, 366 S., 24.-€
aus biograph Juni 2022
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