Ein dichtes Gewebe aus Pflanzen und Wurzeln reckt sich aus braunen Erdschichten an die trübe Luft. Die Pflanzen umranken Fische. Oder mutieren sie zur Hülle fischköpfiger Kreaturen, die ihre Mäuler öffnen? Im Dreiklang winden sich diese Fischwesen an geäderten braunen Pflöcken empor, die Gedanken an Zigarren oder Phalli aktivieren. In aller Ambivalenz rufen sie manchem auch die Dreierkreuzigungsgruppe in Erinnerung, die in der westlichen Kultur durch zahlreiche Gemälde so vertraut ist. Vergänglichkeit klingt an, wie sie in Stillleben variantenreich inszeniert wird. Hier artikuliert sie sich durch die matten Farben, die aller lebendigen Frische entbehren. Fliegen sind hier wie dort Anzeiger des Lebens im Verfall und der Verwesung. Die hochgereckten Fischmäuler lassen eher an Lebensnot denken als an einen freudigen Happen.
Ob Wurzeln, Blätter, Fischkörper, Fliegen - alle erscheinen in ihren Konturen präzise. Sie erscheinen nicht lehrhaft im Querschnitt oder in verschiedenen Phasen ihres Wachstums wiedergegeben. Doch wie in früheren zeichnerischen Sammlungen, die neu entdeckte Pflanzen zur klaren Identifizierung unverkennbar abbilden sollten, sind die einzelnen Elemente in Bewegung festgehalten. Dabei bleibt ihr Zusammenspiel rätselhaft. Fliegen sind in dichter Erde nicht Zuhause, Fische halten sich ihrer Natur gemäß im Wasser auf. Die horizontalen Linien verraten nicht eindeutig, ob sie Erde, Luft oder Wasser voneinander scheiden. Und hat eine Assoziation mit der Dreierkreuzigungsgruppe hier wirklich etwas zu suchen?
In bedeckten, kühlen Erdtönen zieren die dargestellten Kreaturen harmonisch ausbalanciert das Hochformat. Das spielerische Ringen um die Vorherrschaft erzählerischer Darstellung oder reiner Ornamentik erschwert ein geruhsames Einnorden des Verstehens. Die zeichnerische Anlage ist keiner konkreten künstlerischen Bewegung zuzuordnen. Die fast surreal anmutende, gegenständliche Malerei bietet nur fragmentarisch Ansätze der Ausdeutung. Seitlich angeschnitten scheint sich das Blatt- und Wurzelwerk in der Horizontalen unendlich weiter zu erstrecken, so dass das Bild nur einen Ausschnitt aus einem breiten Band zeigt.
Ein Stillleben animiert zur Meditation über die Vergänglichkeit. Seoyoung Yun variiert diese Funktion, indem sie Mehrdeutigkeiten herbeiführt, die man zunächst als reale Natur zu erkennen meint, die sich jedoch in ihrer gleichviel rätselhaften wie ornamentalen Eigenart einem festen Zugriff entziehen. So spielt die Künstlerin mit Sehgewohnheiten, die über Begriffe wie Bildgattung und Ikonographie Zugänge zu einem Werk suchen. Sie hält Bildgenuss und analytisches Verstehenwollen reizvoll in der Balance.
www.seoyoungyun.com
Aus der Reihe „Kunst-Stücke“
In dieser Reihe schreiben Studierende der Kunstgeschichte an der H.-Heine-Universität Düsseldorf über Kunstwerke Düsseldorfer Künstler und Künstlerinnen.
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