Die französische Dramaturgin und Schriftstellerin Yasmina Reza hat seit längerem ihr klar wiederzuerkennendes Leib- und Magenthema, und sie setzt es immer wieder sehr energisch in Szene. Es geht ihr, kurz gesagt, um die Demaskierung bürgerlicher Gepflogenheiten, um die Zurschaustellung der alltäglichen, vor allem im familiären Bereich liebgewonnenen und emsig gehegten Gebote, vor allem, wenn sie in einem konkreten Zusammenhang dann urplötzlich auf den Prüfstand gelangen. Da registriert man bei den Agierenden jäh auftretende Zornesausbrüchen und eine unglaubliche Eskalation von (überwiegend verbaler) Aggression. So war das auch in dem spektakulären – von Roman Polanski verfilmten – „Gott des Gemetzels“, und ähnlich sieht es in ihrem neuen Buch „Glücklich die Glücklichen“ aus. Hier wird von Anfang an und gleichsam wie aus dem Nichts heraus die galoppierende Entfremdung zelebriert.
Formal gesehen präsentiert das Buch zunächst die Porträts einzelner Figuren. Auf einmal wird aber klar, dass diese Figuren sich auch wechselseitig kennen oder verwandt sind. Diese inszenierten Porträts gestalten sich nur wenige Seiten lang, weswegen die Genrebezeichnung „Roman“ vielleicht nicht ganz richtig ist, doch die zugrundeliegende Thematik wird deutlich. Aufgedeckt werden etwa der nie hinterfragte Selbstbetrug einer Ehe, die Sabotage der Kommunikation aus heiterem Himmel, die viel zu lange ertragenen Verwundungen. Schon die erste Geschichte, im Grunde eine banale Allerweltssituation, zeigt dies auf denkbar krasse Weise: wir beobachten ein Pärchen im Supermarkt, der Mann besorgt dummerweise den falschen Käse an der belebten Käsetheke, woraufhin sie ihm eine Szene macht; sie will das Teil sofort wieder umtauschen, reiht sich selbst ein in die Schlange – und was macht er? Er rastet förmlich aus, zählt drohend bis drei, zerrt sie fort. Alles hier ist im Grunde Stress wegen nichts, doch geradezu kindisch-verbissen werden die subjektiven Positionen verteidigt. Ähnlich liegt der Fall bei einem anderen, schon etwas älteren Pärchen: da besteht er, der gerade den fünften Bypass bekommen hat, darauf, eingeäschert zu werden, wenn es soweit ist, er will, dass seine Asche von ihr in einen Fluss gestreut wird; sie aber lehnt das kategorisch ab, besteht auf ein gemeinsames Grab und meint zudem ebenso belehrend wie abschätzig zu ihm: „Es gibt schon genug Pollen und Sauereien in der Luft“. Kommunikationstechnisch gesehen geht hier schon lange gar nichts mehr.
Angesichts solch grotesker Ausraster, in denen unliebsame Wahrheiten sich plötzlich Bahn brechen, schwankt man als Leser zwischen Lachen und Kopfschütteln. Lächerlich ist bestimmt auch der beflissene Bridge-Spieler, der aus Wut darüber, dass seine Frau eine Karte, einen Kreuz-König, falsch ausspielt, diese Karte in den Mund steckt und auffrisst; schaurig (oder eher tragisch) ist die demente Großtante in einem Altenheim, die aus ihrem Einsamkeitskokon nicht mehr herauskommt, oder jene Mutter, die in einem Wartezimmer auf ihre Bestrahlung wartet und lakonisch-bitter und weltabgewandt die anderen Patienten um sich herum abkanzelt.
Es sind gewiss unschöne Wahrheiten, die Reza uns da präsentiert, ein ums andere Mal seziert sie in diesen Miniaturen das Kollabieren menschlichen Zusammenlebens, unerbittlich und präzise. Aber man kann derartige Szenen durchaus auch als Warnung verstehen.
Yasmina Reza: Glücklich die Glücklichen. Roman. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Verlag, München 2014, 175 S., 17.90 €
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