Falconer ist eine Haftanstalt mit zweitausend Insassen, so heißt es, dorthin gelangt Farragut, nachdem er wegen angeblichen Brudermords eine Strafe von zehn Jahren aufgebrummt bekommen hat. Er selbst, im zivilen Leben Professor und ein Mann in den 40ern, bestreitet die Tat: zwar soll es eine Auseinandersetzung gegeben haben, aber sein alkoholkranker Bruder fiel auch unglücklich auf den Kopf und starb unfallbedingt, so jedenfalls lautet seine Version. Wie auch immer, jetzt sitzt er ein und muss sich rasch mit den Strukturen und Gepflogenheiten dieses Ortes vertraut machen. Es herrscht innerhalb der Gefängnismauern freilich eine Art offener Vollzug, man kommt, auch wenn Aufseher und Pfleger zugegen sind, ständig mit den anderen Häftlingen in Kontakt. Ein seltsamer Ort bleibt Falconer auch mit seinen manchmal schwer einschätzbaren Figuren; für die Rassentrennung im Speisesaal haben die Insassen übrigens ganz eigenhändig gesorgt.
Ganz so unglücklich über die neue Situation wirkt Farragut auch gar nicht, das wird durch zahlreiche Rückblenden deutlich. Fast gewinnt man den Eindruck, Falconer böte ihm eine seelische Runderneuerung, eine Art Katharsis für all den Mist, den das zivile Leben ihm einst im Überfluss bereithielt. Die Ehe zu seiner Frau Marcia zeigt Spuren kompletter Verwüstung, das sieht man schon bei ihrem ersten Besuch, da fragt sie zum Beispiel, ob schon ein Schwuler sich an ihn herangemacht habe, weil: „Ich habe nämlich keine Lust, mit einem Homosexuellen verheiratet zu sein, wo ich schon einen drogensüchtigen Mörder zum Mann habe.“ Das sitzt. Und sie hat noch andere Boshaftigkeiten auf Lager. In der Tat ist Farragut drogenabhängig, er zählt sich zur „Generation der Süchtigen“, hier aber erhält er immerhin seine alltägliche Ration Methadon und das hält ihn bei Laune. Sinnigerweise wird dieses Ration sukzessive verringert und schließlich durch Placebos ersetzt, so dass Farragut am Ende sogar von seiner Abhängigkeit geheilt wird, quasi ohne es zu merken. Bis es soweit ist, muss er allerdings auch manche entzugsbedingte Wahnvorstellung aushalten.
Aber der Begriff der Heilung ist bedeutsam; das Buch arbeitet eher indirekt mit Begriffen wie Schuld und Erlösung in nicht selten religiös untermalten Beschreibungen: Farragut sieht seine Mitgefangenen als „Gefallene“, als „Seelen, die nicht erlöst werden“ können. Und Cheever jongliert gekonnt zwischen banalen Alltagssituationen, die oft witzig konterkariert sind, und einer Art spirituellem Impetus, den seine Figur Farragut in seiner wahnhaften Suche nach Erlösung bereits forciert.
Doch die Gegenwart von Männern impliziert auch den profanen körperlichen Kontakt, mithin Gewalt und auch sexuelle Verfügbarkeit, bei der bald deutlich wird, dass Farragut bereits in seinem Vorleben zu beiden Geschlechtern tendierte. Sein bester Freund in Falconer wird der schwule Jody, und selbst in den engen Gefängnismauern von Falconer gibt es einen Ort der Privatheit, an den man sich zurückziehen kann…
Das Ende ist ein wenig überraschend und erinnert, wie einiges andere zuvor, ein bißchen an „Einer flog übers Kuckucksnest“. Farragut bietet sich die Möglichkeit zur Flucht, und die ergreift er – wobei diese Flucht alles andere als hektisch initiiert ist, sie wirkt fast wie eine Traumsequenz: einmal draußen vor den Gefängnismauern, nimmt er den Bus und steigt irgendwo aus. Wesentlich ist: der Mann ist bei sich angekommen – und geheilt, irgendwie.
John Cheever: Willkommen in Falconer. Roman. Aus dem Amerikanischen von Thomas Gunkel. DuMont Buchverlag, Köln 2012, 224 S., 19.99 €
aus biograph 6/2012
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