Ein halbes Jahrhundert ist es her, das hier so deklarierte „Schaltjahr des Pop“. Was die Autoren dieses Bandes, fast durchgängig Professoren für deutsche Literatur, zum musikalischen Jahr 1967 beizutragen haben, ist für Liebhaber dieser Zeit und ihrer Musik allerdings ein Muss. Eine unglaubliche Dichte an Produktionen bestimmte dieses Jahr, das sich eben nicht nur in der immer wieder gern zitierten Reduktion auf zwei konträre Pole (Beatles vs. Stones) manifestierte, sondern im Gegenteil eine kreative Vielfalt offenbarte, die in der gesamten Popgeschichte einmalig ist.
Es geht den Autoren, rasch erkennbar, nicht ansatzweise um den musikalischen mainstream, der sich z.B. in den „Großen 8 von Radio Luxemburg“ oder der „Bravo–Hitparade“ niederschlug (wo neben den englischsprachigen Hits auch ein guter deutscher Kern reaktionärem Schlagers sein Überleben feierte), sondern um jene musikalischen Impulse, die sich im breiten Spektrum von frei über albern, anspruchsvoll bis hin zu revolutionär verdichten sollten.
Mitte 1967 schlägt z.B. das Album „St. Pepper“ von den Beatles ein wie ein Komet. Die Band war da das Gekreische, den ganzen Hype um die auf sie bezogenen „Pilzköpfe“, bereits leid und machte konsequent keine Live–Gigs mehr. Plattentechnisch wurde fortan alles aufgesprengt, regelrecht befreit: Einzelne Stücke dauerten länger als die sonst üblichen 2 bis 3 Minuten, Texte wurden mit abgedruckt, Plattencover erhoben den Anspruch, künstlerisch inspiriert zu sein. Dies lässt sich gut an den ersten Alben der Velvet Underground (mit der berühmten „Banane“ Andy Warhols), der Grateful Dead, der Pink Floyd, der Doors etc. überprüfen. Ein gewisser Bob Dylan erfindet sich nach einem Motorradunfall bereits schon gleich ganz neu. Auf dem Konzert im sagenumwobenen Monterey gibt sich diese Avantgarde ein Stelldichein, ein gewisser Jimi Hendrix wird am Ende seines Auftritts seine Gitarre in Brand setzen. Die Bands produzieren, was das Zeug hält, jedes neue Album wird zum Erzählbaustein des eigenen Mythos.
Kritische Untertöne sind den Autoren nicht fremd: Pink Floyd etwa erscheinen als Verfechter einer „Mittelschichtsubkultur“, ihr Dilettantismus ist verbürgt, geradezu legendär, die erste LP („The Piper at the Gates of Dawn“) wird hier als „Paradestück sentimentalischer Naivität“ geradegerückt, was andererseits dem Erfolg ja keinen Abbruch tat. Was einige hier vielleicht überraschen könnte, ist die Heraushebung, ja Huldigung der Beach Boys, die als kalifornische Antwort auf die Beatles (Surfer vs. Arbeiterjungs!) allerdings weniger musikalische Gegensätzlichkeiten als eine Gemeinschaft im Geiste verkörperten – nämlich einen ausgeprägten antibürgerlichen Reflex. Man staunt.
Nochmal zu Dylan: Wer die letztjährige Verleihung des Literaturnobelpreises an ihn mit Kopfschütteln quittierte, dem sei zur kritischen Überprüfung der eigenen Position ein Band mit Langgedichten, Prosa und Reden ans Herz gelegt. Gerade die Langgedichte weisen mit ihrem autobiographischen Hintergrund auch eine dylantypische Schnoddrigkeit auf. Der Übersetzer Heinrich Detering, der auch im oben besprochenen Band „1967“ mit einem Aufsatz zu Dylan vertreten ist, versucht sich nah am Text zu orientieren und, wenn möglich, den einen oder anderen Versreim auch wortgetreu abzubilden; anhand der zweisprachigen Ausgabe lässt sich das gut überprüfen. Dylan ins Deutsche zu bringen, dürfte kein Zuckerschlecken sein, die oft surrealen Zeilen sperren sich gegen jede eindeutige semantische Vereinnahmung. Es ist eine Kunstform für sich.
G. Kaiser et.al.: Younger than yesterday. 1967 als Schaltjahr des Pop. Wagenbach Verlag, Berlin 2017, 255 S., 24.- €
Bob Dylan: Planetenwellen. Gedichte und Prosa. Übersetzt und kommentiert von Heinrich Detering. Hoffmann und Campe, Hamburg 2017, 496 S., 24.- €
aus biograph 6/2017
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