Das Bild, das am weitesten entfernt, an der Stirnwand der Ausstellungshalle von Beck & Eggeling hängt, zieht die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Die kreisrunde, farbig leuchtende Scheibe schwebt geradezu, Schatten werfend, vor der Wand und öffnet sich wie eine Schale zum Betrachter hin. Lichterfüllt, inmitten der changierenden Tonalität von Beige, Braun und Gold und zu den Rändern hin wie von einem Schleier dunkel überdeckt, ziehen sich erdfarben rötliche Adern durch das Bildfeld. - Nicht dass es noch weitere Gemälde in dieser Ausstellung von vier Künstlerinnen gäbe, die derart intensiv von Farbe als Essenz und Nuance, ihrer Energie und der spirituellen Aufladung handeln, aber Ulrike Arnolds „Valle Arcoiris, Atacama, Chile“ (2015) erhellt den gesamten Raum und umfängt schließlich den Betrachter. Das runde Gemälde ist die konkrete Schilderung eines Ortes auf der Erde, vielleicht ja durch Wolken hindurch. Vielleicht ist das überhaupt für das gesamte Werk von Ulrike Arnold kennzeichnend, dessen Konzeption schon früh feststand: Sie lässt uns an der Natur teilhaben, indem sie unmittelbar auf die Schöpfung verweist. Und dann erinnert die Kreisform an den Kosmos – wie schon bei der Himmelsscheibe von Nebra, die in der frühen Bronzezeit Europas, 2000 v. Chr. entstanden ist und ihrerseits Elemente des Tages- und des Nachthimmels, Astronomie und religiöse Zeichen kombiniert. Vielleicht aber wirkt der Tondo von Ulrike Arnold – erst recht andere, tiefblaue Gemälde aus dieser Serie – wie der Blick aus dem Universum auf die Erde oder den Mond, seine Oberfläche mit ihren Kratern und Schneisen.
Ulrike Arnold ist Malerin, sie malt auf Leinwand, auch auf Baumrinde. Die Bildträger liegen bei der Entstehung auf festem Grund, meist dem Erdboden. Ihre Farben findet sie genau dort, in der Natur: Sie entnimmt sie der Erde und dem Gestein, welche sie zermahlt, mit Wasser anrührt und mit dem Pinsel aufstreicht und mit farblosem Acrylbinder fixiert. Die feinen Körner bleiben stehen, ebenso wie Ulrike Arnold noch Salz oder – auch ausschließlich, wie eine Zeichnung – Meteoritenstaub aufträgt, so dass die Oberflächen aufgeraut und taktil sind. Sie berichtet von den auch für sie beeindruckenden Erfahrungen, wenn blinde Menschen mit den Fingern über die Bilder streifen und sie auf diese Weise sinnlich lesen: als wären Farben zu ertasten. Ulrike Arnold liegt am intensiven, mithin ganzheitlichen Erleben und Aneignen der Farbessenz, der Kunst, die dabei etwas Kostbares, Seltenes wie ein Zeugnis und Relikt besitzt: für das Publikum ebenso wie für sie als Künstlerin.
Grundlage ihrer Arbeit ist das unmittelbare Einlassen auf den Ort, an dem sie sich längere Zeit aufhält, den sie empfindet und wo sie am liebsten unter freiem Himmel übernachtet. Die Schöpfung der Erde ist in diesen Gegenden, Wüsten oder Gebirgen noch nicht vom Menschen vereinnahmt; deutlich wird, wie die Landschaft von der Natur geformt ist, Sedimentschichten sich umschlingen und von Meeren, die sich in Urzeiten zurückgezogen haben, glatt gespült sind. Die Nachthimmel geben großartige Sternenhimmel zu erkennen; Ulrike Arnold faszinieren Sternwarten. Implizit ist ihren oft riesigen Bildern die Frage nach der Entstehungsgeschichte der Erde und dem Urknall und nach der Existenz Gottes eingeschrieben. Natürlich, Erde ist ein Urstoff alles Lebens und als Oberfläche, auf der wir laufen, sie ist im Grunde die Haut und Membrane, die in die Tiefe der Erdkugel weist. In der freien Landschaft findet sie die Erde, mit der sie malt – und sie malt, was sie sieht, mit den Händen erspürt und direkt vor Ort empfindet, sie lässt sich von der Natur leiten. Mit dieser Erfahrung und der Neugierde, dass es – mit dem Klima, dem Licht, der Vegetation – doch überall ganz eigen aussieht, sich die Erde also von Ort zu Ort unterscheidet, andere Farbtöne und Dichtigkeit besitzt, reist Ulrike Arnold auf alle fünf Kontinente, hält sich in der Wüste und unbewohnten Gegenden auf und entwickelt dort ihre Werke auf dem Boden kniend, in direkter Verbindung zum Boden. Sie spricht davon, sich von den eigenen Gedanken freizumachen und rein die Energie der Orte in ihren abstrakten Bildern festzuhalten- Seit 2009 hat sich Ulrike Arnold, die von Zeit zu Zeit in Flagstaff in Arizona lebt, ein festes Atelier unter freiem Himmel in Broken Arrow Cave in Utah eingerichtet, nahe am Grand Canyon. Die Leinwand liegt hier direkt auf der Erde oder auf einem großen Tapeziertisch, der im Schatten des Berges, vor dem riesigen Eingang in die Hölle steht. Die Erde ist auf dem Bildträger so stabil, dass es kein Problem ist, die fertigen Malereien zu rollen und mit dem Auto zu transportieren.
Bei Beck & Eggeling ist noch ein weiteres ihrer Hauptwerke zu sehen, bestehend aus fünf Tafeln, die hier nebeneinander hängen, mitunter aber auch als Kreuzform ausgestellt wurden. Jede Tafel repräsentiert mit einem eigenen Farbton, in den Meteoritenstaub eingeschrieben ist, Form gewinnt und sich wieder auflöst, einen Kontinent, genommen von allen fünf Kontinenten (Assuan in Ägypten, Gendevank in Armenien, Yuendumu in Australien, Lisbon Valley in Utah, in der Mitte Kirsuvik in Island) – die Bilder werden hier zu höchst unterschiedlichen und doch verwandten Porträts der Erdteile. Entstanden sind diese fünf Tafeln, die sich aufeinander beziehen, 2015, im Wohnatelier in Düsseldorf in einem Hinterhof in der Innenstadt, in einem Gebäude mit Victor van Keuren, Ilona Weber und Manfred Müller. Hier sammelt sie auch kleine „Erdsäckchen“ mit den Erden und Gesteinsbrocken aus den verschiedenen Ländern: wie ein Archiv, eine autobiographische Erinnerung und Zeugnisse der Orte, an denen sie sich aufgehalten und gearbeitet hat. Aber es ist mit diesem Bewusstsein der Herkunft eben auch das Material, mit dem sie malt. Als Feld waren die Erdsäckchen selbst ausgestellt, 1992 bei der UN-Umweltkonferenz in Rio de Janeiro – sie weisen auf unprätentiöse Weise auf die Vielfalt, die Attraktionen und den Reichtum der Welt und darauf, dass sie zu schützen ist und die natürlichen Ressourcen nicht ausgebeutet werden dürfen. Und, ein weiterer Aspekt, der bei all dem mitschwingt: dass die Ureinwohner dieser Gegenden mit ihren Reservaten und in ihrer Weisheit im Umgang mit der Natur und den Landschaften zu achten sind.
In ihrem Atelier hängt ein riesiges Bild mit den Maßen
190 x 300 cm mitten im Raum, so dass es von beiden Seiten – gleichwertig – zu sehen ist, eine Rückerwerbung aus dem Nachlass von Dennis Hopper. Entstanden 1991 in Bisbee in Arizona bei Vollmond, dominieren gespinstartige Brauntöne, die sich wie ein Insekt in der Fläche ausdehnen. Im Zentrum taucht ein helles verwaschenes Blau auf, wie ein Gewässer, gesehen aus der Vogelperspektive. „It’s a landscape“ hat Hopper dazu gesagt; natürlich sind ihre Bilder eine Fortsetzung der Landart, aufgrund von Erfahrungen, wie sie die US-amerikanischen Künstler und Künstlerinnen in der Weite ihrer Landschaften gesammelt haben. Und auch die Bilder von Ulrike Arnold besitzen eine Verbindlichkeit und Konkretheit, wie aus der Vogelperspektive oder eben von ganz nahem, als Ausschnitt der Erde vor den eigenen Füßen, herangezoomt und wie minutiös wiedergegeben.
An den Wänden im Atelier hängen aber auch große hochformatige schwarze Zeichnungen auf weißem Papier, frühe Blätter, die abstrakte Architekturen umfassen und ein Gespür für Präzision und Akkuratheit zum Ausdruck bringen. Sie handeln vom Maß des Menschen, seiner Ausdehnung und seinen Grenzen. In ihnen hat Ulrike Arnold Ordnung in die Linien gebracht – sie sind ganz am Anfang ihrer freien künstlerischen Tätigkeit entstanden. Ulrike Arnold wurde 1950 in Düsseldorf geboren. Zunächst studiert sie in Wuppertal auf Lehramt für Musik und Kunst; zu ihren Kommilitoninnen gehört Marlene Baum, einer ihrer Lehrer ist der Zeichner Peter Paulus; bis heute ist sie der Wuppertaler Kulturszene eng verbunden.
Als Schlüsselerlebnis, aufgrund dessen sie ganz in die Erfahrung der Erde und die Kunst als Form der Umsetzung eintaucht, erweist sich 1971 ein Aufenthalt an den archäologischen Fundorten der Dordogne. In der Höhle von Lascaux erlebt sie die Höhlenmalerei, die vor Urzeiten alleine mit den Mitteln von Erde geschaffen wurde. „Das war es“, sagt sie in dem Film „Dialogue Earth“, den Hank Levine über sie gedreht hat (2020). Eine Zeitlang unterrichtet sie noch am Gymnasium, lernt parallel dazu bei Rolf Sackenheim Radierung und nimmt dann, ab 1979 ein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie auf, welches sie als Meisterschülerin bei Klaus Rinke abschließt, der ihr alle Freiheiten der Malerei lässt. 1989 hält sie sich ein halbes Jahr in Australien auf. Sie lernt von den dortigen Ureinwohnern und spricht von der „Zweisamkeit mit der Natur, im Dialog mit den Tieren, Bäumen“, als „Teil des Kosmos, aber ein winziges Teilchen“ – es folgten weitere Aufenthalte und auch Malereien in anderen fernen Ländern und Kontinente. Die Malerei selbst ist schon da expressiv, als lineare Geste zielstrebig, ebenso wie sich die Erdfarbe als monochromen Ton über weitere Partien der Fläche verteilt. Die Zeichnung – oder auch, seit 2003 der Staub der Meteoritenspäne – prägt sich in die Farbfläche ein, verzahnt sich mit dieser, bleibt wie das ganze Geschehen beweglich. Zu sehen sind Ereignisse, die von der zeichnerischen Grenzziehung zum Farbstrom anwachsen und immer auch den Prozess ihrer Entstehung reflektieren. Der große Freiheitsdrang, der in dieser Malerei steckt, trifft sich mit der Offenheit der Betrachtung, bleibt leichthin und in spannungsvoller Balance.
Ulrike Arnold ist beteiligt bei:Colour turns me on, bis 16. März bei Beck & Eggeling, Bilker Straße 4-6 in Düsseldorf.
Außerdem bei: Vom Wesen der Natur. Die Sammlung Andreas Gerritzen,
bis 1. April im Edwin Scharff Museum in Neu-Ulm
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