Wie heißt es so schön? Richtig – shit happens. Und das gilt hier gleich im doppelten Sinne: Adam Godley trifft es nämlich auf dem Klo. Als er einen Stuhl „so hart wie Mahagoni“ herauspressen will, platzt ihm ein Blutgefäß im Hirn. Fortan liegt er auf seinem Krankenlager, und bald wird klar: Adam agonisiert, er befindet sich, so heißt es, „im Vorzimmer des Todes“. Wer gleich zu Anfang eine solch gewagte These von sich gibt, ist wohl auch einer, der es wissen muss – kein Arzt, sondern ein Gott, aber nicht der Gott, sondern einer unter vielen, Hermes, um genau zu sein, der Gott der Boten. Wir haben es hier also mit einer außergewöhnlichen Erzählerstimme zu tun. Mit der göttlichen Sicht auf Adam ist freilich weniger eine möglicherweise religiöse Konnotation gemeint, als vielmehr der Blick eines Unsterblichen auf einen Sterblichen. Hermes „lümmelt“ für die Zeit eines einziges Tages (und die Dauer des Romans) im Raum herum, wo sich auch Adams ganze Sippschaft eingefunden hat, und nur die feinen Sinne des Hundes Rex spüren die Existenz des Außerirdischen, denn klar: Menschen sind schnöderweise dafür nicht empfänglich. Hermes redet gern und viel, verfällt aber dennoch nicht in reines Geplapper, er paraphrasiert in oft hochfeinen Beobachtungen Adams zugleich verschlungenes wie abgrundtief banales Leben, schwadroniert bald über die Befindlichkeiten der traurigen Spezies Mensch, und lässt es sich sogar nicht nehmen, in eine menschliche Gestalt zu schlüpfen, um mit dem einen oder anderen Familienmitglied über besagtes Oberhaupt zu plaudern. Hermes will dabei seinen Spaß haben, er ist ein einfallsreicher, manchmal alberner, nicht selten auch maliziöser Gott, der sich auf Kosten der Menschenkreatur einfach gerne ins Fäustchen lacht. So sitzt die Familie (außer Adam selbstredend) bei einer großen Tafelrunde, und Hermes schaut zu, philosophiert über das Schicksal des Menschen, sterblich zu sein, was er unterm Strich irgendwie drollig findet. Wir erfahren nebenbei, dass Zeus, der oberste Gott, sogar mal darüber nachgedacht hat, den Tod abzuschaffen, den Gedanken schlussendlich aber verworfen habe. Tja, Pech für uns. Adam, obschon komatös, kommt übrigens auch selbst noch zu Wort, denn seine Gedanken sind ja hellwach, und er stellt sich das Leben ohne ihn selbst vor, wobei er trist erkennen muss: wird alles weitergehen wie zuvor, und Hermes muss dem ausnahmsweise mal nicht widersprechen.
„Unendlichkeiten“ ist ein ungewöhnlicher Familienroman, in dem die aufgedeckten Geschichten von Liebe und Enttäuschung, von Betrug und Hinterhältigkeiten im Lichte des bald Dahinscheidenden eine besondere Dynamik erhalten. Es geht um Bilanzierungen, es geht um subtile Abrechnungen, jetzt, da ein irreversibler Endpunkt erreicht ist. Einiges bleibt auch rätselhaft und mysteriös, im Grunde aber werden letzte Fragen von Sein und Nicht-Sein wie Wetterbefindlichkeiten verhandelt, es lohnt sich dann, das Lesetempo herunterzufahren, um die hochgescheiten Einlassungen Hermes’ sacken zu lassen. Denn der Ire John Banville ist ein Sprachartist, ein poetischer Jongleur, ein ausgewiesener Metaphernfreund, der einen gerne aufs Glatteis der wohlfeilen Unterhaltung führt, um dann, sozusagen als Erkenntnisnachhilfe, einem unvermittelt in den Hintern tritt, damit man wieder wach wird. Das ist gemein – und gut. Und nicht zuletzt: Christa Schuenkes Übersetzung ist aller Ehren wert.
John Banville: Unendlichkeiten. Aus dem Englischen von Christa Schuenke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 319 S., 19.99 €
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