Ingmar Bergmans Arbeitstagebücher aus fast fünfzig Jahren zeigen ein breites Spektrum sowohl werkbezogener als auch persönlicher Einlassungen, die einem den schwedischen Regisseur und Drehbuchautor auf denkbar direkte Weise näherbringen. Von Beginn an stehen Selbstbefragungen im Mittelpunkt, deutliche Unsicherheiten, man spürt vor allem beim jüngeren Bergman ein eher vorsichtiges Vorantasten an die eigenen, unausgegorenen Ideen, es ist ein ständig in der Schwebe gehaltenes Sich–Vergewissern, die Arbeitstagebücher bergen mithin viele autobiographische Momente.
Tatsächlich erzählt Bergman im Grunde nicht von seinen Filmen, sondern bringt sie, wie es der Titel ausdrückt, direkt zu Papier, einfach, indem er Szenenabläufe paraphrasiert und die ihm relevant erscheinenden Punkte herausstellt. Jeder flüchtige Impuls oder jede Beobachtung gerät ihm da zur Fundgrube. Bezeichnend auch, dass er seine Entdeckungen oftmals mit persönlichen, ja intimen Befindlichkeiten verschränkt. Mitunter hat man bei seinen Ausführungen den Eindruck, er interessiere sich gar nicht für einen wie auch immer gearteten Plot, sondern ließe sich von spontanen Einfällen oder Fantasien überraschen – was dazu führen kann, dass alles im Zweifel auch wieder verworfen werden kann: „Was ist denn das für ein Scheiß?“, heißt es dann schon mal. So entsteht neben der Darstellung (oder Zurschaustellung) kreativer Ideen ein psychisches Panoptikum, das u.a. von tiefsitzenden Frustrationen berichtet, von Ängsten, und andererseits, bei Gelingen, auch von großem Dank, was dann sogar ein Gebet nach sich ziehen kann; Bergman war stets ein Zweifler von oder vor Gottes Gnaden, aber nie wirklich Atheist. Bereits in einem frühen Stadium muss er lernen, mit der Kritik an seinen Filmen umzugehen, „Das siebte Siegel“ etwa wird von dem schwedischen Boulevard verrissen, die Dialoge werden als „dilettantisch“ stigmatisiert, Bergman wird, und das ist schon ziemlich böse, beispielsweise als „Meister des Kitsches“ heruntergemacht.
Die ständige Durchwirkung von Ideenauffächerung und persönlichen Zweifeln, von Korrekturen und profan–privatem Krempel, ist charakteristisch für dieses jederzeit spannend zu lesende Konvolut, es offenbart die ungeheure Kreativität dieses Mannes, der sich mit schnell erzielten Ergebnissen nicht zufriedengibt, stattdessen immerzu nach dem letzten Schliff sucht. Das ist nicht nur eine stilistische Komponente, Bergman will bald weg vom Dialog („sinnlose Worte und Gedankengänge habe ich satt“), will „ohne Anstrengung unterhaltsam sein“, wozu gehörte, den „Eintopf aus Kafka und Strindberg“, mithin den ganzen existenzialistischen Überbau, hinter sich lassen. Vieles bleibt nur skizziert, manch eine Figur erhält allenfalls zarte Umrisse, Bergman weiß über weite Strecken nicht einmal, ob er überhaupt etwas mit ihr anfangen wird. So oder so sind die Arbeitsbücher ein work in progress, bei dem man dem Meister ständig über die Schulter schaut.
Trotz aller Erfolge und zahlreicher Auszeichnungen (etwa den drei Ausland–Oscars), läuft nicht alles rund in seinem Leben, von den Schwankungen im kreativen Prozess abgesehen, gerät seine psychische Gesundheit bald in den Fokus, besonders markant wird dies, als seine Ehefrau Ingrid stirbt und depressive Schwankungen deutlicher zu spüren sind.
Renate Bleibtreu, die ehemalige Schauspielerin und ausgewiesene Bergman–Kennerin, hat diese Arbeitstagebücher herausgegeben, übersetzt und durch ein sehr lesenswertes Nachwort ergänzt. Und für alle Leser dieser Kolumne sei am Ende noch darauf hingewiesen (falls es nicht ohnehin bekannt ist): „Biograf“ ist der schwedische Begriff für – Kino.
Ingmar Bergman: Ich schreibe Filme. Arbeitstagebücher 1955–2001. Übersetzt von Renate Bleibtreu. Berenberg Verlag, Berlin 2021, 447 S., 28.-€
aus biograph 05/2022
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