„Vortreffliche Frauen“ ist der vielleicht bekannteste Roman der englischen Schriftstellerin Barbara Pym (1913–1980), er spielt um das Jahr 1950 in einem noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs stehenden Londoner Vorort. Er zentriert sich um ein paar unverheiratete Frauen, die im Dunstkreis eines Pfarrers auf recht aufopferungsvolle Weise diverse Arbeiten für ihn verrichten. Nichts aber lieben sie so sehr wie den neuesten Klatsch und Tratsch, außer den Alltagsgeschichten über Kleidung, Wohnung etc. wird gerne eine Gerüchteküche über sich anbahnende oder sich auflösende Beziehungen am Köcheln gehalten. Das kirchliche Drumherum und die einzelnen Arrangements (Pfarrfeste, Flohmärkte etc.) wirken auf den ersten Blick sehr provinziell, bieten aber auch vortreffliche Einblicke in die jeweiligen Seelenlandschaften; und was natürlich nie fehlen darf bei all dem Getratsche, ist, als Ausdruck englischer Distinguiertheit schlechthin, eine gute heiße Tasse Tee. Alles sieht also ziemlich harmlos aus.
Ist es das auch? Für Liebhaber von „Downton Abbey“ gäbe es hier jedenfalls viel psychologisches Anschauungsmaterial. Im Zentrum der Geschichte steht die eher bescheiden auftretende Ich–Erzählerin Mildred Lathbury, sie ist Anfang dreißig, selbst Pfarrerstochter, und träumt diffus von einer Beziehung oder gleich einer Heirat. Auf diesem Wunsch wird sie über die Länge des Romans zwar sitzen bleiben und sich selbst als „nutzlose alte Jungfer“ bezeichnen, richtig frustriert wirkt sie dabei nicht. Denn sie erweist sich als sehr feine Beobachterin ihrer Umgebung, und das scheint ihr eine Art Kompensation zu sein, sie analysiert punktgenau die richtigen oder vorgetäuschten Krisen, die Heucheleien, die fadenscheinigen Gesten, so gut wie nie lässt sie ihre Gesprächspartner spüren, was sie wirklich denkt. Und nur selten gesteht sie selbst einen Fehler ein oder zeigt sich zerknirscht, was dann auch drollige Züge annehmen kann: „Ich hätte bei William nicht so ungehörig über sie klatschen dürfen, noch dazu in der Fastenzeit.“
Mildred prüft die jeweiligen (männlichen) Optionen, die sie vielleicht doch noch in eine Heirat führen könnten; da wäre als erstes Pfarrer Julian Malory selbst, doch als auf einmal eine gewisse Mrs. Gray, eine jüngere Witwe, bei ihm ins Pfarrhaus zieht und die beiden bald als verlobt gelten, scheint Mildreds Elan verpufft. Aber dann kommt es zu einer Entlobung, was zunächst Anlass für die Frauen (außer Mildred) ist, sich das Maul über diese Mrs. Gray zu zerreißen. Schon zu Anfang war zu erkennen, wie Mildred ein Auge auf einen Marineoffizier geworfen hatte, der, wie es schien, sich gerade von seiner Frau Helena trennte (die wiederum in ihren Arbeitskollegen Everard Bone verliebt war), doch kommen auch die beiden nach erster Trennung wieder zusammen, und Mildred guckt von Neuem in die Röhre. Ständig sind es diese sich aufbauenden Kontakte und Überkreuz–Verhältnisse, die, kaum in die Wege geleitet, aufgrund lächerlicher Belanglosigkeiten in sich zusammenfallen. Neue Allianzen werden gestiftet und moralische Grundeinstellungen auf ihre Haltbarkeit geprüft. Auf Enttäuschungen, das fällt auf, reagieren beinahe alle Beteiligten ziemlich cool. Mildred jedenfalls scheint ihre ganz persönlichen amourösen Rückschläge souverän hinzunehmen, der Frau kann man schlechterdings nichts vormachen.
Barbara Pym schafft es mit einer Mischung aus dezenter Ironie und subtil verortetem Humor, diesen kleinen Alltagsgeschichten und Scheinaufregungen alle innewohnende Piefigkeit zu nehmen. Das Buch lebt vor allem von seiner dynamischen Dialogregie, den fein abgestimmten Statements mit ihrem oft hintersinnigen Subtext. Wie gesagt: very british, das alles. Man muss es einfach mögen.
Barbara Pym: Vortreffliche Frauen. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth. DuMont Buchverlag, Köln 2019, 349 S., 20.-€
aus biograph 12/2019
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