Einige der Kleinstadtneurotiker Barbara Pyms wurden an dieser Stelle bereits vorgestellt. Sie alle sind nunmehr in die Jahre gekommen, allesamt über sechzig und haben das Ende ihres Berufslebens und mithin ihr Rentendasein deutlich vor Augen. Zwar treffen sich die vier locker befreundeten Protagonisten (zwei Männer, zwei Frauen), die gemeinsam noch in einem Büro arbeiten, zur Mittagspause in einer Bibliothek, doch diese Zusammenkünfte sind überschaubar geworden, wie eigentlich alles, was nun in punkto Zukunftsgestaltung auf sie zukommt. Auch hat ein jeder seine eigenen Vorstellungen über die ihm verbleibende, manchmal etwas theatralisch aufgetischte Lebensrestzeit, als Leser aber darf man die tapfer ausgehaltenen Verunsicherungen, die dem Anschein nach ja so plötzlich und unvermeidlich über sie hereingebrochen sind und diese in die Jahre Gekommenen nun ein wenig zum Nachdenken gebracht haben, durchaus schmunzelnd zur Kenntnis nehmen.
Und so ohne Weiteres möchten sie ihre nur aufgrund des vermeintlichen Alters prekär gewordene Daseinsberechtigung auch nicht abschreiben. Darum gilt es, der ungewollt hinzugewonnenen Zeit eine Kontur zu geben, Sinnvolles zu stiften, auch wenn manches Zipperlein sich da bereits als ernsthafteres, dem aufgesetzten Lebensmut entgegengesetztes Problem herausgestellt hat – was hier und da bereits eine Operation nach sich gezogen hat und im Weiteren bedeutete: sich Gedanken über Versorgung oder Betreuung zu machen. Janice, eine ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe, lässt die wackere Marcia, eine der Hauptfiguren, allerdings noch nicht rein in ihr Haus. Sie setzt sich gegen aufgenötigte Bevormundung, so lieb sie gemeint ist, erst einmal zur Wehr.
Ob der eine oder andere, wie Norman, nun bereits eine Krebsbehandlung hinter sich hat oder ohnehin, wie eben bei Marcia, insgesamt als „entfernt“ oder seltsam beschrieben ist: das Thema Einsamkeit und/oder Vergänglichkeit verfängt plötzlich. Die vier Betroffenen begegnen der tristen Perspektive mit unsicherem Humor oder kaschierter Ängstlichkeit, wobei sie wissen: abstreiten lässt sich hier gar nichts mehr. Im Übrigen funktionieren alte Reflexe aber noch sehr gut, etwa – ein Topos bei Pym – die minimalen Anwandlungen von Eifersucht, wenn das Objekt der Begierde (z.B. der örtliche Pfarrer oder der Chefarzt im Krankenhaus) nur für einen selbst beansprucht wird, oder wenn es subtil–perfide heißt: „Schicksalsschläge, die andere trafen, waren unstreitig interessant, ein äußerst befriedigendes Gesprächsthema, selbst wenn man sich das nicht eingestehen durfte (…)“.
Pym viviseziert diese kleinen Momente flüchtig werdender Selbstbestimmung anhand einer Reihe beispielhafter Szenen, dabei erweist sie sich immer ein Stück weit hintersinnig, wodurch wiederum, womöglich eher ein Nebeneffekt, launige Porträts des britischen Kleinbürgertums entstehen. Im Umfeld einer religiös auftretenden Gemeinde mit all den Insignien kultischer oder zumindest traditioneller Betriebsamkeit, sind die etwas niedriger angesiedelten Instinkte – Neid, Kontrollsucht, moralisches Distinktionsvermögen – zweifellos intakt geblieben, allein, weil diese Rudimente eigenen Lebens zuvor niemals infrage gestellt worden waren. Was nun aber nicht von den tief verorteten Defiziten ablenken kann. Als Marcia stirbt (ihre Essensverweigerung ist fast eine Art taedium vitae), plappern alle in ihrer Entourage immer nur denselben Satz nach: „Sie war nie eine große Esserin gewesen.“
Dieser aus den späten 1970er–Jahren stammende Roman zeigt in vielerlei Hinsicht aktuelle Bezüge, und so unstrittig ernst die einzeln behandelten Themen (geblieben) sind, so drollig kommt er oftmals daher; kein oberflächlicher Roman, beileibe nicht, sondern einer, der vor allem dies ist – auf eine nette Weise gnadenlos.
Barbara Pym: Quartett im Herbst. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth. DuMont Buchverlag, Köln 2021, 234 S., 20.-€
(aus biograph 07/2022)
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