Volker Döhne bleibt gelassen. Vor dem öffentlichen Gespräch im Museum Burg Linn nimmt er sich alle Zeit für den internen Ausstellungsrundgang. In Krefeld-Linn wird noch bis Mitte August sein fotografisches Projekt entlang des Limes von Bonn bis Xanten aus den Jahren 1993 und 1994 als Diaschau vorgestellt. Die zentralen Ansichten sind links und rechts von jeweils zwei Perspektivwechseln flankiert, so dass die Sicht objektiviert und die Umgebung eingeblendet ist, ähnlich wie in seinem 2018 im Greven Verlag erschienenen Buch.
Die Bilder sind in s/w, aufgenommen bei Tageslicht außerhalb geschäftiger Zeiten: oft mitten auf der Straße in einer wie stillgelegten Situation. Wenige Autos sind am Straßenrand geparkt, vieles – etwa die Ampeln und die Zebrastreifen – weist darauf, wie allgegenwärtig sie tatsächlich sind. Im städtischen Bereich weisen Oberleitungen auf den öffentlichen Nahverkehr, selten ist eine Straßenbahn oder ein Bus zu sehen. Beschrieben ist der Übergang vom Ländlichen zum Städtischen; wenn Menschen auftauchen, dann spielen sie keine Rolle. Ansonsten, sagt Volker Döhne, habe er warten müssen, bis sie weg waren.
„LIMES“ ist charakteristisch für die fotografische Auffassung und Vorgehensweise von Döhne. Er arbeitet in Serien, bei denen das Einzelbild in der Regel moderat und meist – auf Landschaftliches mit dem Horizont bezogen – querformatig ist. Seine Fotografien zeichnet eine hohe Tiefenschärfe aus. Die Aufnahmen sind unspektakulär, dabei präzise in ihrer Fokussierung des Beiläufigen, im Detail überraschend und subtil humorvoll. Über den Kontext der Bildfolge hinaus besitzt jede Aufnahme ihre autonome Bedeutung und hat mit ihrer kompositorischen Ausgewogenheit als Einzelbild Bestand. Zumal in der wiederholten Hinwendung aus verschiedenen Perspektiven treten analytische Erkenntnisse in den Vordergrund und verdeutlichen unser Verhalten und unsere Zivilisation, aber auch ihre Geschichte. Mitunter kehrt Döhne, der von Anfang an auch in Farbe arbeitet, zu einzelnen Orten und Sujets zurück.
Das betrifft im Museum Linn die zweite, auf Papier abgezogene fotografische Sequenz, die „LIMES“ am Beispiel von Krefeld-Gellep weiter in die Gegenwart rückt. Am einstigen Standort der römischen Garnison – vor 2000 Jahren das Kastell Gelduba – hat Döhne nach 1993 noch einmal 2016 exakt von den gleichen Standorten fotografiert, und zwar digital in Farbe. Acht dieser Paare hängen in Linn nebeneinander, und über den vergleichenden Fokus auf die Veränderung der Gegend, der Gebäude und der Besiedlung hinaus, geraten ausjustierte Einzelheiten in den Blick. So verläuft exakt zwischen der rot umrandeten Scheibe eines Verkehrsschildes und dem dazu erläuternden weißen Schild im Hintergrund der rote horizontale Streifen eines weißen Industriegebäudes. Diese Fotografien sind dokumentarisch, demonstrieren das Vergehen von Zeit und doch sind sie weit mehr, sie erfassen und „sehen“ die Situationen so, dass sie für sich einen sinnlich ästhetischen Reiz entwickeln.
Volker Döhne ist in Krefeld zuhause. Geboren 1953 in Remscheid, war er ab 1980 an den städtischen Kunstinstituten in Krefeld als Fotograf, Grafiker und Kataloggestalter tätig. Während seiner Schriftsetzer-Lehre bei der Remscheider Zeitung begann er, zunächst mit der Leica des Vaters, zu fotografieren. An der Düsseldorfer Kunstakademie studierte er bei Tünn Konerding Typografie, vor allem aber von 1976 bis 1980 bei Bernd Becher, der ihn, auf Vermittlung von Luise Kimme im Orientierungsbereich, als zweiten Schüler nach Candida Höfer in seine Fotografie-Klasse aufgenommen hat. Wie wichtig Volker Döhne für die Düsseldorfer Fotoschule von Bernd und Hilla Becher ist und wie prägend wiederum diese für ihn war – wo die Gemeinsamkeiten und das völlig Eigene liegen –, verdeutlicht im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld der Sammlungssaal zur Fotografie, der eine seiner Serien gemeinsam mit Werken von Candida Höfer, Thomas Ruff und Thomas Struth zeigt: seine Panoramen auf Köln aus der Perspektive von Voiswinkel, Rössrath, Lohmar, Bornheim, Kendenich, Knapsack. In der Senke in der Ferne ragt der Kölner Dom auf, umgeben von jeweils anderen Gebäuden; zugleich wechselt der Abstand zum Fernsehturm ganz erstaunlich. Aufgenommen 1992, wurden die Fotografien schon 1994 von den Krefelder Museen erworben. Die Qualität und Bedeutung von Döhnes Fotografie war früh bekannt, Ausstellungen gibt es kontinuierlich, auch wenn er erst seit Mitte der 2010er-Jahre mit Beteiligungen in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur in Köln und im Städel Museum in Frankfurt a.M. als einer der Protagonisten unter den Düsseldorfer Fotografen gewürdigt wird.
2018/19 wurde sein fotografisches Schaffen in einer retrospektiven Einzelausstellung mit dem Titel „Sucher und Finder“ im Kaiser Wilhelm Museum vorgestellt. Hier waren auch die Farbserien und -blöcke zu sehen, und deutlich wurde, wie genau und hingebungsvoll er auf übersehene Symptome und Symbole unserer Zivilisation schaut, sei es auf Trampelpfade oder auf die damals grelle Farbigkeit von Autos, und im systematischen Vorgehen soziologische Aspekte ebenso herausarbeitet wie er Urbanität im Alltäglichen beleuchtet.
Hieran schließt die Serie „Reihenuntersuchung“ (2012) an, mit der er derzeit in der Ausstellung „Produktive Räume“ im Haus Lange vertreten ist. Döhne hat im Hochformat durch Autoscheiben die Rücksitze geparkter Fahrzeuge fotografiert mit all dem, was dort herumliegt, ob es Kleidungsstücke, Nahrungsmittel, Zeitungen oder farbige Kindersitze sind. Die Aufnahme erfolgt leicht schräg von oben, so dass die Ränder der Scheiben gar nicht zu sehen sind und man das Gefühl hat, selbst im Auto zu sitzen und hingegen auf der anderen Seite nach draußen zu blicken. Farbig und ganzflächig, direkt im Metallrahmen schließend, stellt sich eine fast bedrängende Direktheit ein, die in der Summe umso mehr Aussagen zu unserer Gesellschaft tätigt. Sensationell – und dazu passend – ist die Form der Präsentation, bei der sich die Aufnahmen als aneinanderschließendes Band über die eingerückten Wandsegmente in der Villa schlängeln. Naja, sagt Volker Döhne, im Straßenbild stünden die Autos ja auch zickzack.
Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Innen und Außen kehrt noch in den Präsentationsformen wieder, die auch bei den klassisch strengen Fotografien experimentell, ja, subversiv sind. Zum Beispiel 2018 bis 2019 im Stadtraum von Krefeld als Auftakt der Museumsreihe „Sammlungssatellit“. Auf Einladung von Katia Baudin – und als Auftragsarbeit mit künstlerischem Impetus – hat er sich mit der ihm so vertrauten Bauhaus-Architektur der beiden Villen von Ludwig Mies van der Rohe auf der Wilhelmshofallee auseinandergesetzt. Dazu hat er in Farbe, überwiegend als Hochformat und paarig, Ansichten der offenen, fließenden Fluchten in den Innenräumen, der Fassaden und einzelner Details, schon des Mauerwerks aufgenommen. Er hat die Fotografien für einen Monat als Diaschau in drei aufgelassenen Geschäften in der Innenstadt gezeigt. „Es war eine Art von Museum-en-passant, am öffentlichen Raum gelegen und von dort aus einsehbar“, hat Volker Döhne im Katalog zu „Moving Mies“ geschrieben. „Die Frage, welche Besonderheiten das Schaufenster hier und der Schauraum in einem Museum dabei erkennen lassen, führt weiter“. In der nächsten Stufe hat Döhne dann, in Auswahl der Orte und Inszenierung der Motive im Stadtgebiet, einzelne Fotografien vergrößert auf den Vor- und Rückseiten von Litfaßsäulen und Werbeflächen plakatiert. Das flächige Foto von Architektur wird auf der zylindrischen Form zum plastischen Objekt, die städtische Umgebung wird Teil der musealen Betrachtung und wechselt dazu mit jedem Schritt: Kunst und Gesellschaft verschränken sich. Kunst gibt Auskunft.
Volker Döhne – Der Blick auf das Verborgene. Der Limes am Niederrhein,
bis 13. August im Museum Burg Linn, Krefeld
Außerdem ist er beteiligt bei: Produktive Räume. Kunst und Design aus Krefeld, bis 10. Sept. in Haus Lange. Und permanent in der Sammlung des Kaiser Wilhelm Museum, Joseph-Beuys-Platz 1 in Krefeld
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