Mit seinem dritten Roman auf deutsch bestätigt David Vann seine Vorliebe für krasse Themen. Mittlerweile deutlicher erkennbar ist da eine Motivstruktur: all seine Protagonisten finden sich in Grenzsituationen wieder und sind dort durch ihre eigenwillige Verbissenheit gekennzeichnet, die sie in der Verfolgung ihrer Ziele sowohl vorantreibt wie auch auf stupende Weise blockiert. Sie alle weisen eine besondere Sehnsucht nach Erlösung auf, nach „Reinen-Tisch-Machen“ und sogar auch nach eigener Auslöschung. Eine derart subjektiv verfolgte Katharsis war bereits in dem Vorgängerroman „Die Unermesslichkeit“ ein deutliches Thema, nun, im vorliegenden Roman, erscheint sie noch weiter herausgearbeitet. Wir begegnen einem Mann von 22 Jahren, Galen, der zusammen mit seiner Mutter in einem Vorort von Sacramento in einem Haus lebt, einen Vater gibt es wohl nicht. Das Verhältnis von Mutter und Sohn erscheint sehr angespannt, Galen hält es kaum aus mit ihr, will weg, will studieren, aber dafür ist angeblich kein Geld vorhanden.
Galen versinkt in einen esoterischen Eskapismus, er liest Casteneda oder auch artverwandte Schmöker wie „Die Möwe Jonathan“, ist freilich auch den Pornoseiten des „Hustler“ nicht abgeneigt, er übt sich in Atemtechnik und ist mondsüchtig. Galen ist also ein schräger Typ, der sich noch nicht ganz geerdet hat, seine Welt ein diffuses Sammelsurium. Und dann kommt ihm noch die 17-jährige Cousine Jennifer in die Quere, die dafür sorgt, dass das schwelende emotional-sexuelle Chaos in ihm erst so richtig zum Ausbruch kommt; sie, eine aufreizende Lolita, macht ihn an, nötigt ihm ihre Dominanz auf, sie erweist sich als richtiges kleines Luder, das mit ihm sein Spielchen spielt. Das kann unmöglich gut gehen.
Die familiäre Ausgangslage ist also prekär, zudem mischen einige andere Verwandte in Galens Entourage (vor allem die Tante der Mutter, Helen) in diesem Pandämonium noch munter mit, viel Aggressivität ist da im Raum, wobei niedrigste Instinkte bedient werden, etwa bei der Frage, wie man der an Demenz leidenden Großmutter das Scheckbuch herausleiern und sie zu den nötigen Unterschriften bringen kann. Galen, und das zeichnet ihn aus, hat noch intakte moralische Reflexe, und das ganze Geschacher widert ihn nur an.
Und dann, als Mutter und Sohn immer stärker aneinander geraten und die Mutter gesteht, dass sie ihren Sohn hasst, nimmt der Roman ungemeine Volten an. Zuvor hatte sie Galen beim Geschlechtsverkehr mit Jennifer beobachtet, jetzt will sie ihn wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen anzeigen, er soll ins Gefängnis, am liebsten, kein Scherz, will sie ihn hängen sehen. Galen reagiert panisch, er schließt die Megäre in einen Schuppen ein, den er er zusätzlich noch mit Brettern verbarrikadiert, ihr Betteln nach Wasser an diesem glühend heißen Tag überhört er geflissentlich, ihr Sterben nimmt er in Kauf. „Der Schmerz ein Puls im Gefüge, und der Zorn kochte, und er wollte töten.“ In bald alttestamentarischer Art verschafft sich etwas Bahn, das lange geschwelt hat.
Und David Vann ist unerbittlich in der Schilderung dieses Mutter-Sohn-Konflikts. In der verhandelten Paranoia bekommt die Szenerie etwas David-Lynchhaftes, das Geschehen oszilliert zwischen überdrehter Poesie und wahnartigem Delirium. Galen hat sich am Ende von dieser Welt verabschiedet. Man staunt über die Konsequenz, mit der er das alles durchzieht.
David Vann: Dreck. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013, 297 S., 19.95 €
aus biograph 09/2013
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