Innerhalb der sogenannten Antikriegsliteratur existieren ganz unterschiedliche Ansätze hinsichtlich der Art, wie die dem Krieg inhärente Grausamkeit dargestellt und letztlich für anschauliche (bzw. pädagogische) Zwecke instrumentalisiert wird; Kurt Vonneguts bald 50 Jahre alte Klassiker „Schlachthof 5“ (der jetzt zum ersten Mal in einer stimmigen Übersetzung vorliegt) nimmt da eine Sonderstellung ein.
Billy Pilgrim, Hauptfigur und erkennbares Alter Ego Vonneguts (1922–2007), hat die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 als amerikanischer Soldat in einem Strafgefangenenlager miterlebt und ist nur mit Riesenglück der Feuerhölle entkommen, bei der nach Schätzungen bis zu 25.000 Zivilisten ums Leben kamen. Aber Billy ist seitdem schwer traumatisiert. Und er verabschiedet sich mehr und mehr aus der Wirklichkeit: „Niemand außer ihm selbst ahnte, dass er im Begriff war wahnsinnig zu werden.“ So versteht es Billy, sich aus dem Zeitstrom zu lösen und in der Zeit vor und zurück zu reisen (ein wiederkehrendes Muster bei Vonnegut, am deutlichsten wird diese Form von Zeitsabotierung in seinem Roman „Zeitbeben“ von 1998) – was vor allem dann geschieht, wenn es brenzlig für ihn wird. Die anberaumten Zeitreisen bedeuten also eine Flucht vor der Realität, ein Kompensationsprogramm. Dabei unterstützen Billy im vorliegenden Falle vor allem ein paar Außerirdische, die Tralfamadorianer, die auch mit Phänomen Zeit ganz anders umgehen als wir Menschen, denn sie wissen: „Jederzeit ist alle Zeit. Sie ist unveränderlich.“ Nicht unerwähnt bleiben darf da noch ein anderer Protagonist, ein gewisser Kilgore Trout, selbst Science–Fiction–Autor und ein immer wieder auftauchendes Alter Ego Vonneguts. Womit sich hier nun die Frage stellt, wie ernst man diese Art der Antikriegsliteratur nehmen kann. Bei Vonnegut werden die verrücktesten Dinge wie selbstverständlich nebeneinander gestellt, bitte eher nicht nach Logik fragen. Mir erscheint Vonnegut wie eine Mischung aus den Science–Fiction–Entwürfen eines Philip K. Dick, den schnoddrig–bärbeißigen Kommentaren eines Hunter S. Thompson und den genial–verrückten Einlassungen eines Richard Brautigan – bei aller individueller Durchgeknalltheit sind das gewiss gute Referenzen.
Letztendlich lässt sich „Schlachthof 5“ aber nicht auf die Slapstickeinlagen eines Kriegsversehrten reduzieren. Vonnegut malt ein apokalyptisches, komplett surreales Gemälde, schrill, schräg, schauerlich, vermengt die Genres, pulverisiert alles Rationelle und zeigt mit seinem atemberaubenden, unhintergehbaren Fatalismus noch die allergrößten Abgründe und Hirnrissigkeiten auf. Er verpackt das Ganze gerne lakonisch in dem wiederkehrenden Kommentar: „Wie das so ist.“ Jegliche Zivilisationskritik hat bereits abgedankt, was bleibt, ist die bloße Konstatierung des Irrsinns. Vielleicht passt dieses Buch deshalb heute so gut in unsere Zeit – Stichwort Erdoĝan, Trump, Kim Jong–un etc., denn auch an diesen konkreten Instanzen des Wahnsinns prallt ja alles Rationelle ab.
Trotz des deutlich verorteten Pessimismus mischt Vonnegut eine gute Portion Witz in seinen Roman, recht hintersinnig geraten ihm die „Gespräche“ mit den Aliens in der fliegenden Untertasse auf dem Weg nach Tralfamadoria. „Sind wir Erdlinge nicht die Schrecken des Universums?“ fragt er da. Die Tralfamadorianer sind immerzu tiefenentspannt und abgrundtief friedlich, sie lächeln über diese Frage, und im übrigen wissen sie, wie das Universum einst enden wird – die Erde, sagen sie, hat mit dem Ende jedenfalls nichts zu tun, deren gesamten Belange sind ohnehin ein Witz. Wir nehmen das jetzt mal als Trost.
Kurt Vonnegut: Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Gregor Hens. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2016, 238 S., 24.- €
aus biograph 09/2016
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