Wie sehr Bianca C. Grüger bei ihren Bildern mit dem Angemessenen der Darstellung, der Intensivierung und den Möglichkeiten der Malerei handelt, zeigten 2014 ihre Großformate von Frauenköpfen. Ausgestellt bei „Über Eck“ im sog. Kinosaal der Kunsthalle Düsseldorf, ließen die Häupter in ihrem Realismus allenfalls aus der Distanz an die Plakatmalerei denken – für diese sind sie zu malerisch, zu elaboriert im Duktus und zugleich zu nachdenklich und irritierend. Sie werfen zu viele Fragen an die Wirklichkeit auf, als dass sie sich dieser unterwerfen würden. Die Augen sind fotorealistisch und erst recht präsent, indem der Hintergrund unscharf gefasst ist. In ihrer dominanten Größe und der Direktheit des Blicks, etwa den blauen Augen der brünetten Frau mit dem Spiel ihrer Finger mit der Perlenkette, saugten diese Antlitze sozusagen die Zeit aus dem hohen Ausstellungssaal. Bemerkenswert war zudem, dass eines der Porträts noch in kleinen – autonomen – Bildern in der Ausstellung wiederkehrte. Auch hingen hier im kleineren Format weitere Malereien, die sich zwischen Abstraktion und Figuration verhielten, dabei den Stil wechselten und doch zweifelsohne einer Handschrift zuzuordnen waren: im Kolorit, im verhalten expressiven Duktus innerhalb der Binnengliederung, im Konzept der Montage, etwa in der Verbindung gegenständlicher und gegenstandsfreier Elemente, schon im Ziehen einzelner farbiger Linien über die Kontur des Motivs hinaus...
Zum Werk von Bianca Grüger gehören, besonders in den letzten Jahren, Sprünge weiter ins Gegenstandsfreie. Die Bilder bestehen dabei aus Reihen von Farbstreifen oder Schlaufen, die im Bildfeld mäandern und wie ausschnitthafte Vergrößerungen wirken. Das ist auch der Fall, wenn kristallin anmutende Formen in einem partiell mit Sprayfarben entwickelten Raumkontinuum oder zwischen kantig umrissenen Farbfeldern liegen. Andere Bilder bestehen ganz aus kreisförmigen und amorphen Farbformen, die im unruhigen Spiel von Licht und Schatten gegeneinander gesetzt sind; in ihrer Schnittmenge sind die Töne der Farben modifiziert.
Im Atelier in Bilk, in Vorbereitung des Ausstellungsbeitrages für „d-polytop“, hängen vor allem die figürlichen Malereien der jüngsten Zeit: die Porträts, gegeben als Kopf oder als Büste, und die liegenden Frauenfiguren. In der Ausstellung, sagt Bianca Grüger, die ab 1993 an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Konrad Klapheck studiert hat, solle jedes Bild für sich hängen. Das Bild wird zum einzigartigen Erlebnis und schließt das Nebeneinander der verschiedenen Werkaspekte doch nicht aus. Kennzeichnend für die Farbigkeit, auch bei den abstrakten Malereien, sind Komplementärkontraste; so treffen ein stumpfes Rot und ein lichtes Grün aufeinander und entrücken die Situation weiter und laden sie, bei den Figuren, weiter psychologisch auf.
Wir werden zu Zeugen privaten Daseins, besonders wenn die Figur auf dem Rücken liegt, vielleicht erschöpft ist oder träumt. Die Haltung im Liegen, der Ausschnitt mit dem Interieur oder dem Umraum, der mitunter auf Abstand gesetzt ist und dann konstruktiv organisiert ist, steigern den Ausdruck der Figur, erst recht auch bei den reinen Bildnissen, die ebenso dem Selbstportrait wie der Kunstgeschichte entstammen können oder sich unter einer Maske aus Farbfeldern auf die Kopfform und die Augen beschränken. Dann wieder befindet sich eine Farbnaht und vielleicht sogar eine Stufung der Leinwand um das Gesicht, als wäre dessen ursprüngliche Version durch ein anderes ersetzt. Naturalistisch sind die Augen und die Haare gegeben, die Falten und Aufwerfungen der Textilien, die stillgelegte Gestik der Hände; dabei ist das Inkarnat mitunter überstrahlt. Die Kleidung kippt in das Ornament: im Rautenmuster oder der in sich verschobenen Folge horizontaler Linien auf einem Pullunder, die nun zu flirren scheinen. Die Künstlichkeit der Wirklichkeit ist augenblicklich mitempfunden. Im Abtasten des Bildes aber entschleunigt sich das Sehen. Die einzelnen Flächen aktivieren sich gegenseitig. Und so verselbständigt sich in einem der Bilder einer Liegenden die trapezförmige weiße Stofffläche oberhalb des Rockes, auf Bauchhöhe zur gegenstandsfreien Farbform: Je konkreter diese Darstellungen sind, desto abstrakter sind sie zugleich. Zu sehen ist dabei eine Malerei, die ihre Veränderungen und Schichtungen mitunter ruppig und als Teil der Gegenwart einbezieht. Die wie aus einer anderen Welt gefallen scheint und doch so selbstverständlich ist. - Was für ein Glück, dass diese Bilder an einem so exponiertem Ort wie der Kunsthalle gezeigt werden.
Bianca C. Grüger ist beteiligt bei:
d – polytop, Kunst aus Düsseldorf,
bis 28. April 2019, Städtische Kunsthalle, Grabbeplatz 4 in Düsseldorf,
www.kunsthalle-duesseldorf.de
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