In Zürich vor einem Jahr, gemeinsam mit Matthias Gabi im „archiv“, überwog der konzeptuelle Anteil in der künstlerischen Arbeit von Christoph Westermeier. Zu sehen waren teils gestapelte, auf Tischen ausgelegte Ausstellungskataloge der 1950er bis 1970er Jahre, ausgebreitet über fotografischen Vergrößerungen aus diesen Büchern. Einige waren auf den Seiten mit Werbung und mit Inseraten aufgeschlagen, wie sie damals üblich waren. Der Ausstellungstitel „Teppich, Buch, Tapete, Schnaps“ benennt die vier Bereiche, denen sich die meisten der Anzeigen erstaunlicherweise zuordnen lassen. Indem ihre Motive als Stillleben zwischen Fläche und Raum auftreten, „entfaltet sich ein Sittengemälde, das zwischen Nostalgie, Komik und Schönheit changiert“ (M.G./C.W., Faltblatt zur Ausstellung). Anhand der Kunstkataloge und mit ihrem Arrangement stellten sich Aussagen zum Konsumverhalten und schließlich zur gesellschaftlichen Stellung der Kunst in jenen Jahren ein und damit sogar zu Hierarchien im Kulturbürgertum.
Die eigene Fotografie, wie sie Christoph Westermeier intentional in unterschiedliche Kontexte einbindet, beschränkt sich bei diesem Projekt auf die Ausschnittnahme und Vergrößerung der Seiten. Die weiteren Elemente seiner künstlerischen Arbeit aber sind ausformuliert. Dies betrifft die sorgsame Aneignung von kulturbezogenen Objekten und Bildern der näheren oder weiteren Vergangenheit, seien es die Jahresgaben der Kunstvereine oder die Gebrauchskeramik des Hetjens Museum oder Bücher als aussagekräftige Träger von Informationen ihrer Zeit, bereits im Lay-Out und dem Buchdruck. Und es betrifft das Dezidierte ihrer Anordnung als Ensembles. Etwa in der gerade zu Ende gegangenen Ausstellung im Kunstraum an der Himmelgeister Straße, aus Anlass des Förderpreises für Bildende Kunst der Landeshauptstadt Düsseldorf. Grundlage der dort vorgestellten Werkgruppe ist der Band „Griechische Bildwerke“, der 1942 in Leipzig in der Reihe „Die Blauen Bücher“ erschienen ist. Westermeier hat einzelne Seiten mit s/w-Aufnahmen berühmter antiker Skulpturen vorsichtig herausgetrennt und mit eigenen Fotografien überdruckt, die er auf Reisen aufgenommen hat. Farbe kommt so hinzu, der Zufall spielt mit, die Bilder werden abstrakt oder betonen im Gegenteil einzelne Partien der Skulpturen oder der Fotografien und sind jeweils für sich ästhetische Ereignisse. Neben Einzelblättern und Paaren hat Westermeier diese Bilder als 6er-Gruppen gerahmt. Dabei wendet er sich wiederholt und ebenso in weiteren Werkgruppen dem Körper als Sujet zu – etwa als Fragment, immer wieder auch in Konzentration auf die Hand – und begreift Stofflichkeiten als Substanz wie auch als Textur, auch in der Überlagerung. Und er verwendet in anderen Projekten die Fotografie rein für sich. Indem er einzelne Motive oder deren Details mit der Aufnahme isoliert, arbeitet er Zusammenhänge heraus. Er nähert sich seinen Themen von verschiedenen Seiten, kombiniert verschiedene Ansichten, aber so, dass das Spielerische seines Vorgehens erhalten bleibt. Mit der Entscheidung für die Fotografie gehen Fragen der Präsentation und des Bildträgers einher, die ihn zu Installationen im Raum und zur Entwicklung skulpturaler Displays geführt haben: als Teil der Arbeit.
Christoph Westermanns Interesse gilt der Präsenz der Bilder in der Gesellschaft. Er wurde 1984 in Köln geboren. Er gehört zu einer Generation, der die digitale Fotografie selbstverständlich ist, die aber noch mit der analogen Kamera – und damit dem fotografischen Bild als physischer Faktizität – aufgewachsen ist. Die den Anstieg der Bilderflut im Internet miterlebt hat. Er studiert ab 2004 in der Fotoklasse der Kunstakademie Düsseldorf, zunächst bei Thomas Ruff, und nutzt die zeitweilige Vakanz einer festen Professur, um andere Klassen zu besuchen, insbesondere die von Rita McBride, und schließt als Meisterschüler bei Christopher Williams ab. Seither hat er etliche Stipendien und Förderpreise erhalten. Die eigenen Kataloge sind Teil der Arbeit. So liegt seiner Publikation zum Peter Mertes Stipendium 2010 ein Sammlungskatalog des New Yorker Metropolitan Museums aus den 1950er Jahren zugrunde, indem er dessen eigenwillige, die Kunstwerke ignorierende Gestaltung zitiert.
Auch in Zürich hat er noch – als daran anschließende, eigenständige Arbeit – auf die Entstehungszeit der Kunstkataloge reagiert. Er hat Ausschnitte aus der Ausstellungspräsentation im Stil der Subjektiven Fotografie fotografiert und auf mattem Papier abgezogen. Diese Aufnahmen bedecken nun eine der insgesamt fünf Säulen aus Styropor, die Bildträger seines aktuellen Ausstellungsbeitrages im Museum Morsbroich in Leverkusen sind. Im geordneten Neben- und Übereinander der Fotografien mit ihren weißen Rändern stellen sich überraschende Beziehungen und neue Bedeutungen ein. Aber dafür reicht schon das einzelne fotografische Bild, das Christoph Westermeier im Atelier in Bilk auf den Tisch legt. Schließlich, was hat Max Ernsts „Geneigte Frau“ (1923) mit einem Cognac-Glas zu tun? Erinnert das Gestell, in das sie eingebunden ist, hier nicht augenblicklich an einen Korkenzieher, und erschafft das wie beiläufige fotografische Schweifen nicht selbst eine surreale Aura? Die Fotografien mitsamt ihrer Präsentation sind auf mehreren Ebenen lesbar, die umso mehr mit unserer Lebenswirklichkeit zu tun haben.
Next Generations.
Aktuelle Fotografie made im Rheinland, 27.1.-5.5. im Museum Morsbroich Leverkusen, Gustav-Heinemann-Straße 80, 51377 Leverkusen, www.museum-morsbroich.de
Außerdem veranstaltet das Hetjens Keramikmuseum am 13. Februar um 19 Uhr eine szenische Führung mit Christoph Westermeier.
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