In der Ausstellung „Eating the Universe“ 2009 in der Kunsthalle am Grabbeplatz war Daniel Spoerri einer der Protagonisten – schon das Thema der Eat Art ging ja auf ihn zurück und in Düsseldorf hatte er vor Jahrzehnten ein Restaurant betrieben. Beim Mittagessen in kleiner Runde nun aß Spoerri anfänglich mit, wartete einen passenden Augenblick ab, stand auf, verwies auf die bevorstehende Eröffnung und ging von dannen. Eine Woche später in Berlin, auf einer Veranstaltung der Mitglieder der Akademie der Künste lächelte Spoerri sanft, anders wär‘s ja nicht gegangen: Das Wiener Schnitzel habe ihm nicht geschmeckt.
Spoerri ist überall und schon wieder weiter. Früher wechselte er in schnellem Rhythmus den Wohnsitz und lebte, zeitweilig in Hotels, in den großen Kunstmetropolen und in kleinen Ortschaften, gar auf einer griechischen Insel und entwickelte überall neue Projekte, beteiligte daran befreundete Künstler_innen und zog weiter, nicht ohne später zurückzublicken. Heute lebt er in Seggiano in der südlichen Toskana, wo er 1997 seine Stiftung „Hic terminus haeret – Il Giardino di Daniel Spoerri“ mit einem Skulpturengarten mit Werken von ihm und 55 weiteren Künstlern angelegt hat, in Hadersdorf am Kamp in Niederösterreich, wo er 2009 das „Kunststaulager Spoerri“ gründete und Ausstellungen seiner Freunde veranstaltet, oder in Wien, wo man ihn auf dem Flohmarkt an der Linken Wienzeile antreffen konnte, und vielleicht noch in Köln, wo er ab 1977 für ein paar Jahre als Professor an der Fachhochschule lehrte und später in der Fluxus-Galerie Schüppenhauer ausstellte.
Vielleicht erklärt sich das Rastlose aus der Biographie, aus der Vertreibung und dem Verlust der Heimat. 1930 wurde Daniel Spoerri als Daniel Feinstein in Galati in Rumänien geboren. 1942 flieht die Mutter mit den Kindern nach Zürich, dort nimmt die Familie den Namen mütterlicherseits an. Bereits 1948 macht Spoerri die Bekanntschaft mit Jean Tinguely und Eva Aeppli, wobei er sich zunächst auf ein anderes Terrain begibt. Er strebt eine Laufbahn als Tänzer am Ballett an, hält sich 1952 mit einem Stipendium in Paris auf und ist von 1954 bis 1957 erster Tänzer am Berner Stadttheater, wo er Künstler wie Luginbühl, Roth und Talman kennenlernt. Als Regieassistent am Theater in Darmstadt 1957-59 wendet sich Spoerri vom Tanz ab, für das Theater wird er auch später arbeiten und Bühnenbilder entwerfen. Er kehrt 1959 nach Paris zurück und taucht in die Kunst ein. „Daniel war sehr fröhlich, etwas aggressiv, aber von einem wunderbaren, schnellen Intellekt“, schreibt Alain Jouffroy über diese Zeit. „Es wurde einem schwindlig bei seiner Originalität.“ (Opus International, 110, 1988, zit. Violand-Hobi, 1998)
Noch im selben Jahr gründet er den Verlag der „Multiplication d*art transformale“: die MAT-Editionen, die also die Verbreitung der Kunst intendieren und etliche Künstler einbeziehen und beispielhaft für sein Netzwerk der Künstlerfreunde stehen. Im Oktober 1960 gehört er in Paris zu den Unterzeichnern der Gründungsurkunde des „Nouveau Réalisme“, der heute Teil der jüngsten Kunstgeschichte ist. Die „Neuen Realisten“ entwickeln in ihren Kunstwerken einen unmittelbaren Zugang zu den alltäglichen Dingen. Sie begreifen diese aus ihrer Erscheinung und ihrer Form heraus und setzen sie, freilegend, transformierend und kombinierend, in Szene. Für Spoerri wird daraus ein lebenslanges Prinzip. Sein Material sind Fundstücke, die er besonders auf dem Flohmarkt entdeckt, Ready-mades und deren Relikte.
Die „Fallenbilder“, die seit 1960 entstehen, sind Spoerris erster und wichtigster Beitrag zu den „Neuen Realisten“. Spoerri fing die Situationen auf dem Essenstisch ein, wenn die Tafel verlassen war, aber noch das Geschirr und Essensreste herumstanden: Er fixierte und konservierte all das, so wie es sich ergeben hatte, und hängte es auf den Tischtüchern oder dem Tablett an die Wand. Spoerri selbst beschrieb die Konstellationen als „Topographie des Zufalls“: Dieser ist wesentlicher Aspekt des künstlerischen Handelns in seinem gesamten Werk. Das Naheliegende bei diesem Sujet ist die Einladung zu einem Bankett. Leben und Kunst, Wirklichkeit und Inszenierung vermischen sich. Was schließlich übrigbleibt, ist Ausdruck von Vergänglichkeit; der Prozess bleibt sichtbar. Die Gelage werden in ihrer Opulenz und Sparsamkeit, als Emotion und Askese vergegenwärtigt. Und plötzlich kommt die Farbe ins Spiel, das Rot von Ketchup etwa.
Die „Fallenbilder“ sind der Gegenstand von Spoerris erster Einzelausstellung 1961, bei Arturo Schwarz in Mailand. Aber Spoerri geht noch weiter. Begleitend zu seiner Ausstellung von Küchengeräten, veranstaltet er im März 1963 in der Galerie J in Paris mehrere Gastmahle. Er kocht selbst, als Kellner fungieren die Kunstkritiker, die Trinkgelder erhalten, welche nicht so gering wie ihre Texthonorare sind. Und im Juni 1968 eröffnet er in Düsseldorf das Restaurant Spoerri, mit Carlo Schröter als Geschäftsführer. Düsseldorf lag als Standort des Restaurants nahe, weil er hier seine Landsmänner Karl Gerstner und Dieter Roth wiedertraf. Und in Essen lebte und unterrichtete André Thomkins. Die Gerichte, die Spoerri auf der Speisekarte nennt, klingen abenteuerlich: Seehund-Ragout oder Elefantenrüsselsteak. 1970-1972 richtet Spoerri über dem Restaurant einen Ausstellungsraum ein: die „Eat Art Gallery“. Die eingeladenen Künstler beteiligen sich mit Kunst aus Nahrungsmitteln oder Kunst, die gegessen werden kann, oder tragen anderweitig zum Thema bei wie Ben Vautier, der hier hungert. Spoerri lebt das Potential des Essens für die Kunst aus. Er aktiviert den Geruchs- und Geschmackssinn, verdeutlicht den existenziellen Aspekt des Essens mitsamt der Einverleibung. Das Kochen wird als kreativer Akt mit neu erfundenen Rezepten bewusst, währenddessen die Lebensmittel ihre Transformation vollziehen, von der mitunter Relikte zurückbleiben, die als Objekte Teil der „Fallenbilder“ sein können, Geweihe etwa. Ein weiteres ist das Ritual des gemeinsamen Geniessens und Verzehrens, das Spoerri bis heute an den verschiedensten Orten und zu unterschiedlichen Anlässen zelebriert. Hinter allem aber steht eine tiefere Hinwendung zu den Emotionen und Genüssen des Menschen, das Festhalten seiner fast animalischen Triebe mit dem Essen als Urerfahrung mit allen Abgründen des Lebens und Sterbens.
Dieses Bedeutungsspektrum liegt auch den Assemblagen zugrunde, die bis heute aus der Verbindung unterschiedlicher Fundstücke und Objekte entstehen und etwas Archaisches, mitunter Morbides tragen, etwa wenn Holz vorkommt und Überbleibsel von Tieren einbezogen sind. Grundlage ist seine exzessive Sammelleidenschaft. So verknüpft Spoerri Objekte und Skulpturen aus Ländern Afrikas, die er seit Anfang der 1970er Jahre gesammelt hat, viel später mit Elementen aus anderen Kulturen – nicht wahllos, sondern als Folge der intensiven Beschäftigung mit ihnen. Teils erinnern diese Werke an Fetische; später arbeitet er u.a. mit Dingen aus einem anatomischen Kabinett, die erst recht makabre Züge annehmen. In der Ausstellung in der Langen Foundation, die einen Überblick über das Gesamtwerk unternimmt, sind sie theatralisch inszeniert und in Reihe und Glied präsentiert. Der Titel „Museum der Unordnung“ bezieht sich eher auf die einzelnen Werke selbst, die unter Mitwirkung des Zufalls das Chaos in Form setzen und, irgendwie schon tänzerisch, in der Balance halten: als Spuren und Zeugnisse alltäglicher Erfahrungen.
Daniel Spoerri: Museum der Unordnung
bis 17. März in der Langen Foundation, Raketenstation Hombroich in Neuss, www.langenfoundation.de
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