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Der kleine Prinz Fassmichbittean in der großen Wüste

Die biograph Ouvertüre Januar/Februar 2021

Ich möchte Karneval feiern. Helau! Konfetti! Tusch! Ich möchte mich einer Polonaise durch den ganzen Saal anschließen und an Altweiberfastnacht mit allen knutschen, die auch mit allen knutschen wollen. Ich will Bier und Liedtexte, die so blöd sind, dass sie eigentlich den nachträglichen Entzug jeglicher Schulreife nach sich ziehen müssten. Egal! Ich will mich daneben benehmen, mit anderen Quatsch machen und am Tag danach die Strafe des großen Gottes Alkohol in meinem Hirn spüren. Helau! Ich küsse alle. Helau! Ich bin der Prinz Fassmichbittean.

Ich glaube es nicht, dass ich solche Zeilen schreibe. Ich, der ich Zeit meines Lebens nichts mehr verabscheut habe als Karneval. Ich, der ich einst beim erzwungenen Versuch, einer Karnevalssitzung beizuwohnen, schon nach einer halben Stunde meine Begleitung mit dem Tode bedrohte, sollte sie mich nicht innerhalb Minutenfrist aus dem Saale befördern. Was habe ich gelitten.

Bei einer weiteren leichtsinnigen Visite des kalkulierten Frohsinns steckte mir irgendeine Gerda ungefragt die Zunge in den Hals, und als sie die wieder raus zog, konnte ich riechen, was sie in den 24 Stunden vorher zu sich genommen und getan hatte. Nie habe ich größeren Ekel verspürt.

Und jetzt? Jetzt will ich genau das, was ich stets gemieden habe. Ich will Menschen um mich herum, Menschen, die mich berühren, die mich mit ihrem grundlosen Frohsinn anstecken, ob ich will oder nicht. Wie schön das wäre, einmal wieder jemanden unterzuhaken und dummdöselig zu schunkeln. Helau! Und von mir aus auch Alaaf. Egal. Hauptsache Menschen. Sie müssen nicht schön sein, nicht schlank, nicht intelligent. Hauptsache jemanden zum Anfassen.

So weit ist es also schon gekommen. Ich fühle mich wie ein Verdurstender in der Wüste, dem man das Bild einer Oase gezeigt hat, dem aber auch gesagt wurde, dass diese Oase noch so unendlich weit weg ist. Vor meinen Augen erscheinen Phantasiebilder von wogenden Festen, von Freuden, die ich nie hatte. Sie gesellen sich indes zur bitteren Erkenntnis, dass ich den weiten Weg noch werde gehen müssen und dass die Phantasiebilder wohl noch eine ziemliche Weile Phantasiebilder bleiben werden.

In kommenden Tagen feiert das große C deutschen Geburtstag. In der einen Gemeinde früher, in der anderen später, je nachdem, wann es die Menschen 2020 erstmals in die Knie gezwungen hat. Was waren das für Zeiten, als ich noch dumm herumbrubbeln konnte und gerne jenen zuhörte, die das, was kommenwürde, als Grippe kleinredeten. Wie dumm ich doch war.

Irgendwann jährt sich auch der Jahrestag des ersten Lockdowns. Den fand ich noch irgendwie witzig und kaufte mir am ersten Tag einen großen Eimer Farbe, um mein Homeoffice frisch zu streichen. Was haben wir damals alle gestreamt und telefoniert, was haben wir uns optimistisch lustig gemacht über das, was war, getragen vom Bewusstsein, dass das alles sicher bald vorbei sein würde. Was haben wir gelacht über die Karnevalisten, die auf ihren Sitzungen halfen, das Virus zu verbreiten. Mit jedem Kuss, mit jedem Lied, mit jedem geteilten Glas. Und siehe da, aus dem Frohsinn erwuchs der Tod.

Nicht wenige Menschen sind inzwischen mit ihrer Kraft am Ende. Sie spüren wie ich diese deprimierende Einsamkeit, dieses Verlorensein, dieses vergebliche Ringen um das letzte Quäntchen Hoffnung. Sie sind müde, sich immer wieder aufzuraffen, immer wieder neu zu versuchen, Tritt zu fassen, die ersten Schritte zu wagen, um den Rest der Wüste doch noch zu durchqueren.

So einige sind auf der Strecken geblieben. Es hat sie erwischt. Und jene, die es nicht erwischt hat, die sind erschüttert, gelähmt, starr vor Erschöpfung. Nicht alle verkraften diese Belastung. Etliche haben sich kirre machen lassen vom täglich neu herein sprudelnden Strom an Information. Sie haben versucht, zu begreifen, was dem Menschen nur schwer begreiflich zu machen ist. Und manche sind auf Abwege geraten. Sie leugnen jetzt, in einer Wüste zu sein. Sie erzählen vom blühenden Garten um sie herum. Sie driften dahin.

Wie schön wäre jetzt ein bisschen Karneval. Ein bisschen sinnloses Getöse, ein bisschen organisierter Unsinn, ein paar schlechte Witze. Und ja, ich weiß, dass mein überfordertes Hirn nur verzweifelt einen Ausweg aus der Misere sucht. Wahrscheinlich würde ich im Tausch gegen den traurigen Status Quo auch einen Urlaub in Bitterfeld reizvoll finden. Oder ein Treffen mit Kim Jong-un. Wenn man es mir denn nur anböte.

Also lasst mich bitte Karneval feiern. Oder wenigstens so tun als ob. Am 15. Februar ist Rosenmontag. Ich werde auf jeden Fall feiern. Allein. Nur für mich. Ich werde mich daheim verkleiden, quer durch mein Haus ziehen und dummdöselige Lieder singen. Natürlich werde ich mich auch betrinken, und am 16. Februar mit einem Brummschädel aufwachen. Und ich verspreche als ehemaliger Karnevalshasser vom Dienst: Im nächsten Jahr werde ich Karneval feiern wie nie. Ich werde euch alle anfassen, und ich werde alle küssen, die sich küssen lassen wollen. Darauf ein dreifach donnerndes: Düsseldorf HELAU. Düsseldorf HELAU.
Düsseldorf HELAU.

HANS HOFF

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