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Die neue Zeit der Bescheidenheit

Die biograph Ouvertüre August 2020

Es gibt wieder Filme, es gibt wieder Konzerte. Das asphalt Festival hat kurzerhand den Schwanenspiegel erobert, eine schwimmende Bühne installiert und die Aussicht auf eine großartige Skyline dahintergepackt. Die Jazz Schmiede verlegt ihre „Jazz und Weltmusik im Hofgarten“-Reihe kurzerhand in den Malkasten-Park und in den Rathaus-Innenhof, und weil da nicht so viele rein dürfen, spielen die Acts halt drei Konzerte hintereinander. Kino findet draußen statt, auf der Rennbahn, im VierLinden und sonstwo. Die Kreativität der Macher, die nach Auswegen aus der Krise suchen, ist beeindruckend, erklärt sich aber aus dem unbedingten Willen, zu überleben.

Gleichzeitig verlieren immer mehr Menschen die Scheu vor dem Nächsten. Weil doch bislang nichts passiert ist, weil man keinen kennt, dem was passiert ist, weil die Gewissheit wächst, dass schon nichts passieren wird, wenn man nur fest genug daran glaubt, dass nichts passieren wird.

Es wird aber was passieren. Die Illusion, dass dies nur die Aufbauphase ist, die über kurz oder lang wieder ins Gewohnte führen wird, dürfte sich schon bald eine solche erweisen. So bitter das klingt, aber es wird nichts mehr so sein, wie es mal war, und es werden nicht alle überleben. Die ersten Kneipen und Restaurants sind schon dicht, und wer sein Existenz-Gewand als Veranstalter zu arg auf Kante genäht hat, dürfte bald in Schwierigkeiten kommen.

Bilanz wird erst im nächsten Jahr gezogen. Dann wird man sehen, wo noch was geht und wo die Trümmer liegen, die es wegzuräumen gilt. Eins scheint aber jetzt schon sicher. Ein Zurück zu den ganz großen Zahlen wird es nicht geben.

Es ist die Zeit der kleinen Zahlen, die Zeit der Bescheidenheit. Es wird so schnell nicht mehr passieren, dass irgendwer eine möglichst große Halle mietet, eine angesagte Band bucht und dann ein paar Tausend Menschen zusammenpfercht, diesen viel Geld abnimmt und hinterher vom Zählen der Gewinne wunde Finger bekommt.

Um es mal kurz zu sagen. Nicht alle Korrekturen, die von der Krise vorgenommen werden, sind von schlechter Natur. Ich erinnere mich an mein letztes Arena-Konzert, wo ich als Gegenleistung für den Erwerb eines 200-Euro-Tickets durch gesichtslose Gänge geführt wurde, um auf einem grauen Plastiksitz zu landen und dann ein konfektioniertes, zigfach durchgenudeltes Event-Geschehen verfolgen zu dürfen. Es gab Musiker auf der Bühne, aber sie wurden letztlich erst zu Musikern durch die Vervielfältigung ihrer selbst auf den Videowänden. Abgespult wurde dasselbe Programm wie in allen anderen Stadien auch. Bezahlt hatte ich letztlich nicht für das Konzert, für die Musik, bezahlt hatte ich für das Privileg, zwei Stunden den Raum mit berühmten Musiker teilen zu dürfen.
Mangelnder musikalischer Inhalt wurde zudem kaschiert durch Überlänge. Das ist der Fehlschluss, dem viele bei diesen Monsterkonzerten erliegen. Die Zuschauer meinen, weil sie viel bezahlt haben, müssen sie auch viel Programm bekommen, und der Veranstalter zieht das Programm so sehr in die Länge, dass die Zuschauer irgendwann erschöpft der Täuschung erliegen, sie hätten etwas Großes erlebt, nur weil es gedauert hat.

Wer einmal die bemerkenswerten Bücher von Berthold Seliger über die Musik- und Konzert-Industrie gelesen hat, der ist für die großen Events verloren, der wird sein Geld nicht mehr zu den großen Ticketing-Konzernen geben wollen, die nur mit dem Weitergeben von Zugangsrechten einen Riesenreibach machen. „Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören“ lautet der Untertitel von Seligers jüngstem Buch „Vom Imperiengeschäft“. Wer das gelesen hat, möchte danach bei jeder Ankündigung eines Großkonzerts nur noch ins spontane Erbrechen übergehen.
Niemand wird weinen, wenn ein paar von diesen Großkonzernen nun in die Knie gehen. Wenn es schon Tränen geben muss, dann für die kleinen und mittleren Veranstalter, die mit in den Orkus gerissen werden, was nicht immer fair ist, was aber oft auch Folge ihrer zu engen Bindung an die Riesen im Geschäft ist.

Im Vergleich zu den Exzessen, die da mal waren, fühlt sich die aktuelle Situation ein bisschen wie ein Restart an. Alles nochmal auf Null, gehe über Los, lautet die Devise. Zum Neuen gehört auch, dass Konzerte wieder eine annehmbare Länge haben. Manche dauern jetzt eine Stunde, dann noch Zugabe, und fertig. Das ist gut so, wenn es gut ist. Es wird die musikalischen Anbieter teilen in Künstler und Vortäuscher. Die einen zeigen in einer Stunde ihre Klasse, die anderen liefern auch in über zwei Stunden nichts von Belang.
Natürlich geht das nicht ohne Subventionen, ohne Hilfe für jene, die sich wirklich bemühen um die Kunst. Die Stadt muss sich jetzt entscheiden, was sie will, was sie ermöglicht, was sie fördern möchte. Vieles passiert momentan, aber es bleibt abzuwarten, wie das nach den Wahlen im September weitergeht.

Spätestens im Herbst kommt es zum Schwur. Wenn die Gesundheitskrise weiter geht, werden sich Menschen, die jetzt noch bereitwillig open air Kultur inhalieren, möglicherweise schwer tun, in geschlossenen Räumen Spaß zu haben. Die überschaubaren Zuschauerscharen, die jetzt zusammenkommen, werden dann noch einmal kleiner. Wie das wird? Keiner weiß es wirklich.
Vielleicht reicht es ja, wenn sich ein jeder besinnt auf das, was er wirklich will und dann für das, was er wirklich will, auch das bezahlt, was es wert ist. Nichts wird billiger werden, aber manches wieder direkter. Ob es gefällt oder nicht.

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