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Reinhold (links) und der kleine Hans auf dem Heerdter Sandberg
Foto Alfred Hoff

Roller hier, Roller da, Roller überall

Die biograph Ouvertüre November 2021

Es gibt ein schönes Foto von mir. Schwarz-weiß. Entstanden ist es um 1960 auf dem Heerdter Sandberg. Mitten auf der Straße tummeln sich da zwei Fünfjährige. Der eine hat ein Fahrrad (ich), der andere (mein Freund Reinhold) nur einen Roller. Natürlich war ein Fahrrad damals das bessere Gefährt, und Reinholds Roller wirkt auf dem Foto ohnehin etwas angeschrammelt. Ich war also der Coole, wenn man mal von der Tatsache absieht, dass hinten an meinem Fahrrad noch zwei Stützräder für Stabilität sorgten. Ich war damit zwar immer noch offiziell der Coole, aber wegen der Fahrhilfen fühlte ich mich eher als der Unterlegene und beneidete Reinhold ein wenig um seinen Roller, weil der ja ohne Stützräder auskam.

Seit dieser Zeit ist mein Verhältnis zu Rollern ein besonderes. Es umweht diese Dinge mit einem Rad vor und einem weiteren hinten eine gewisse Faszination. Ich hatte seit 1960 viele Fahrräder, einen Roller durfte ich nie mehr mein eigen nennen.

Das erklärt vielleicht, warum ich es faszinierend fand, als plötzlich ganz viele Roller in Düsseldorf auftauchten. Junge Menschen huschten mit ihnen feengleich vorbei, getrieben von einer unsichtbaren Kraft, die dem Wind nicht unähnlich schien. So gut wie nie waren die jungen Menschen alleine unterwegs. Meist standen sie zu zweit auf dem schmalen Brett. Sie lachten, sie giggelten, und sie hatten Spaß. Zudem sahen sie, ich muss das zugeben, ein bisschen elegant aus. Diese Unbefangenheit, diese himmelschreiende Lässigkeit. Wow! Wow! Wow!

Natürlich hat das meine Liebe zum Roller noch gesteigert. Ich überlegte glatt, es selbst einmal zu versuchen, erinnerte mich dann aber an mein Alter, spulte sämtliche mir zu Verfügung stehende Unfallstatistiken vor meinem geistigen Auge ab und nahm dann Abstand von meinem Unterfangen.

Man muss dazu wissen, dass ich mich schon einmal auf etwas Ähnlichem versuchen wollte. Ich hatte eine Segway-Rundfahrt gebucht. In einer anderen Stadt, weit weg. Ich kam etwas spät zum Treffpunkt, und die anderen hatten sich ausgerüstet mit Helm und Anweisungen, wie solch ein Zweirad am besten zu manövrieren sei. Ich verharrte kurz, schaute ihnen zu und fällte dann mein spontanes Urteil: Ohne mich. Ich wollte nicht so aussehen wie diese Gestalten. Segway-Fahrer gehören für mich zu jenen ästhetischen Zumutungen der Rudolf-Scharping-auf-dem-Rad-Klasse um die sich die Genfer Menschenrechts­konvention seinerzeit nicht gekümmert hat, weil es damals noch keine Segways gab.

Geblieben ist meine Liebe zum Roller. Zumindest bis in jene Tage, da die anfängliche Faszination des Wiederentdecken meines Sehnsuchts­ge­fährts so langsam verdrängt wurde, vom Gefühl, belästigt zu werden. Mehr als einmal habe ich mich zu Tode erschrocken, als so ein Roller an mir vorbei flitzte. Mehr als einmal  bin ich beinahe gestürzt über einen auf dem Bürgersteig seiner Entsorgung harrenden Roller.

Und es kamen immer mehr. Roller hier, Roller da, Roller überall. Sie sammeln sich in Rudeln, stehen dumm rum und warten auf junge Menschen, die mit ihnen Spaß haben wollen. Inzwischen habe ich übrigens herausgefunden, dass die Mehrzahl dieser jungen Menschen, die da zu zweit rumrollern, nicht einfach nur gutgelaunt sind. Insbesondere in den Abendstunden sind die meisten sturzbesoffen, also die Fahrerinnen, nicht die Roller. Auch meine Euphorie ob der Meldung, dass mit diesen elektromobilen Rollern der Verbrennerausstoß in der Stadt merklich gemindert werde, hat sich gelegt. Inzwischen halte ich es mit jenen Experten, die sagen, dass 95 Prozent der Roller nicht der reinen Fortbewegung dienen, sondern als Spaßmobile fungieren.

12 700 dieser Geräte soll es geben. Eindeutig zu viel, befand man in der Stadtspitze und will die Zahl nun quasi halbieren. Nur 1800 davon seien vor­gesehen für die Zone A, zu der Altstadt, Carlstadt und die restliche Stadtmitte zählen. Mal abgesehen von der Tatsache, dass ich ein gewisses Unwohlsein verspüre bei der Erwähnung von Zonen in meiner Heimatstadt, leuchtet mir die Beschränkung und deren Praktikabilität nicht ein. Steht demnächst am Carlsplatz eine Security-Wache und sagt: „Du kommst hier nicht rein. Du bist Roller 1801.“

Und dann ist da noch die Sache mit den Abstellplätzen, auf die solche Roller offensichtlich ein natürliches Anrecht haben. Warum eigentlich? Wäre es den Betreibern nicht möglich, leerstehende Ladenlokale anzumieten und dort ihre Roller zu verleihen? Sind wir nicht gerade dabei, den städtischen Raum von Autos zu befreien? Ich bin ratlos. Ich muss Reinhold anrufen. Der kennt sich mit Rollern aus. Und vielleicht hat er sein altes Ding ja noch und lässt mich mal fahren.

Hans Hoff

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