Hoch ist das neue Tief. Alles, was hoch ist, erscheint neuerdings bedrohlich. Das Hochwasser, die Hochinzidenz, das verglaste Hochhaus. Vorbei die Zeiten, als beim Kinderspiel „Alle Vögel fliegen hoch“ gut war, was abheben konnte. Inzwischen wird jedes Hoch mit Skepsis betrachtet. Bringt es eine neue Dürre? Eine Dürre, nach der die Böden so knochentrocken sind, dass sie das Wasser nicht mehr halten können?
„This is the end, my only friend, the end.“ Jim Morrison hat das vor 54 Jahren gesungen, und es klang nicht einmal in „Apocalypse Now“ passender als in diesen Tagen, da nichts mehr scheint wie es war, da Optimismus wirkt wie eine aus der Mode gekommene Droge. Depression ist die Flagge dieser Zeiten, sie weht nicht auf hohen Zinnen, weil es keine Zinnen mehr gibt. Die Depressionsfahne weht nun an Mobilfunkmasten, den traurigen Belegen einer komplett missglückten Digitalarchitektur. So viele, so hässlich und doch so unzureichend.
Wir schliddern von Katastrophe zu Katastrophe. Es geht so schnell, dass die Zeit dazwischen, die uns das Erlebte vergessen lassen könnte, nicht mehr ausreicht, unser Hirn in Positivismus zu baden. Die Natur gibt uns die Antwort auf unser Wachstumsstreben, die Politik gleicht einer schlechten Nachmittagssoap, das Leben einem Hangeln von Extrem zu Extrem.
„In the year 2525“ sangen Zager & Evans 1969. Ihr Lied handelte von einer Dystopie in ach so fernen Zeiten. 52 Jahre später macht sich das Gefühl breit, dass es wohl früher werden wird mit dem finalen Niedergang. Zumindest wird aktuell viel dafür getan, dass sich die Menschheit dem Abgrund, in den sie stürzen wird, immer rasanter nähert. Notfalls nähert sich der Abgrund aber auch gerne mal den Menschen. Die Häuser in Erftstadt-Blessem sind ein schönes Beispiel dafür, wie hemmungslose Ausbeutung des Bodens den Wohlstand, der so gerne als Lohn für die Ausbeutung versprochen wird, rasch wieder wegsaugt. Eine vor dem Dorf gelegene, nach allen Behörden-Maßstäben genehmigte Kiesgrube ist vollgelaufen und hat sich dann so weit vergrößert, dass sie trotz aller Sicherheitsexpertisen Häuser fressen konnte.
Konnte ja niemand ahnen, dass es so kommen würde. Naturkatastrophen ließen sich nun mal nicht voraussagen, behauptet der NRW-Innenminister, der entweder ein veritabler Volldepp oder ein dreister Lügner ist. Aber er muss das natürlich tun, um seinen Regierungschef zu stützen, der ja Kanzler werden will, der allen Ernstes behauptet, man habe in NRW so viel gegen den Klimawandel unternommen wie nirgendwo sonst. Im Aachener Karneval wäre das ein toller Lacher gewesen, im echten Leben klingt es natürlich wie die Aussage eines RWE-Büttels, der mit Jovialität zu überspielen versucht, dass ihm das kurzfristige Wohl der Braunkohleindustrie weit mehr am Herzen liegt als das langfristige Wohl der Menschen.
Überall skrupellose Lügner und Volldeppen am Ruder. Ungarn, England, Polen, NRW. Man muss nicht weit reisen, um zu besichtigen, welchen Erfolg dieser Tage die kalkulierte Unaufrichtigkeit zeitigt. Das eine sagen, das andere tun. Das Motto der Stunde.
„When the flood calls / You have no home, you have no walls“, sang Peter Gabriel 1977 in „Here comes the flood“. So viel zu: Konnte man doch alles nicht wissen.
Braucht es immer Katastrophen, um ein Umdenken einzuleiten? Könnte der Mensch nicht einfach mal auf die warnenden Stimmen hören, die voraussagen, dass da was kommt? Und könnte Deutschland möglicherweise mal aufhören, immer wieder just jene zu wählen, die das Land mit Anlauf in diese ganze Scheiße hineingeritten haben und nun versuchen, all die großen Haufen, die ihr Versagen hinterlassen hat, zu Gold-Deponien zu verklären?
„The times, they are a-changin'“ hat Bob Dylan 1964 gesungen und dabei Politiker aufgefordert, nicht länger den Weg in eine neue Welt zu blockieren. „Don’t stand in the doorway / Don’t block up the hall“, hieß es und dass man besser anfangen solle, zu schwimmen, wolle man nicht wie ein Stein versinken.
Es ist eine Aufforderung an die Enkel, die bitteschön mal bei Oma und Opa vorbeischauen und ein Gespräch über Politik und deren Auswirkungen auf die nächsten Generationen führen sollten. Es gibt keine Pflicht immer wieder dasselbe zu wählen. Man kann sich als junger Mensch vielfältig politisch betätigen, um Dinge besser zu machen, um die eigene Zukunft zu sichern. Man kann in Parteien eintreten, man kann demonstrieren, man kann sein Verhalten ändern. Das alles sind aber Tropfen auf heiße Steine, solange Oma und Opa immer noch das Falsche wählen. Es gilt, die Halsstarrigkeit und die zynische Wachstumsfixierung jener Generation zu durchbrechen, die das ganze Dilemma mitverbockt hat, die aber von den Folgen wohl nur noch etwas mitbekommt, wenn irgendwann der Friedhof überschwemmt wird.
Aber manchmal scheint dann doch noch die Sonne. Das geschieht, wenn der Blick auf all jene fällt, die in den Katastrophengebieten geholfen haben, die anpackten, als die Politiker noch nicht einmal die schicksten Gummistiefel für ihren Besuch ausgewählt hatten. Menschen helfen Menschen, weil es nicht anders geht, weil die Politik es nicht hinbekommt. Sie murren nicht, sie maulen nicht. Dafür bleibt keine Zeit. Sie packen an, wo es wichtig ist. Sie sind da. Das ist die gute Nachricht in diesen düsteren Zeiten. Es gibt genügend Menschen mit Herz und Verstand. Es wird Zeit, dass das Licht der medialen Öffentlichkeit auch in ein paar Monaten noch auf sie fällt und nicht auf irgendwelche, sich wichtig fühlende Wichte.
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