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Karneval: Zwischen Ohnmacht und Wurzelbehandlung

Die biograph Ouvertüre Februar 2020

Ich war gestern auf einem Spielplatz. Ich wollte etwas ausprobieren. Im Sandkasten. Ein Loch habe ich gegraben und meinen Kopf hineingesteckt. Nur mal so zur Probe. Falls ich in den nächsten Tagen Schutz brauche vor unerwünschten Einflüssen. Man weiß ja nie, was kommt. Besser man ist vorbereitet. Obwohl ich natürlich genau weiß, was kommt: Der Karneval. Der zieht sich in diesem Jahr bis zum 26. Februar. Das wird noch eine ordentliche Strecke, die es zu ertragen gilt.
Jahrelang hat mich dieses Treiben nicht weiter gestört, weil ich wusste, dass Karneval in meinem sozialen Gefüge keine Rolle spielt. Niemand hat sich da komisch angezogen und dann beim Saufen seltsame Lieder gegrölt. Aber da ist etwas anders geworden. Der Wandel ist unübersehbar, unüberhörbar.
Menschen, die ich bislang für durchaus zurechnungsfähig hielt, verkünden mir nun stolz, dass sie gerade auf einer tollen Karnevalssitzung waren oder demnächst eine besuchen wollen. Es sind gestandene Düsseldorfer, die bei solchen Sitzungen zu finden sind. Und es sind nicht einmal solche Sitzungen, die man früher alternativ genannt hätte, die inzwischen aber längst zu reinen Comedymarathons mutiert sind. Nein, meine Freunde reden von „richtigen Sitzungen“, wie sie stolz verkünden. Richtige Sitzungen sind solche, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sich vorab alle Anwesenden einen Stock ins Rektum schieben und damit ihr Ausdrucksvermögen bei „verzückt aber falsch lächeln“ einrasten lassen. In der Folge ist relative Bewegungsarmut zu diagnostizieren. Man kann dann nur noch aufstehen, sich reichlich Getränke zuführen und leicht debil von rechts nach links und zurück wanken, was manche als schunkeln interpretieren. Früher hätte man das Lackschuhkarneval genannt, aber die Wahl der Fußbehausung spielt heute nur noch eine untergeordnete Rolle.
Wichtig ist heute das Networking. Sie träfen da wichtige Geschäftspartner und Kunden, deshalb müssten sie da hin, behaupten manche meiner Freunde, die es möglicherweise nicht mehr lange sind, weil ich weiß, dass der Karneval vor allem ein Hort des Konservatismus ist, in dem sich bekanntermaßen sogar Rechtsradikale gut getarnt amüsieren und vor allem Kölner Bands den zweifelhaften Ton angeben.

Natürlich wird das abgestritten von meinen ehemaligen Freunden, sie verweisen auf tolle Düsseldorfer Bands und sehr lustige Komödianten. Ich habe mir mal den Spaß gemacht, diese Bands, deren Namen ich zu ihrem Schutz nicht nennen möchte, bei YouTube anzuschauen. Ich bin daraufhin in eine sehr lang andauernde Ohnmacht verfallen und war auch danach ob der gebotenen Provinzialität sehr fassungslos.
In Wahrheit fürchte ich mich natürlich, dass ich entweder nun bald sehr einsam werde oder auch dem hiesigen Billigfrohsinn verfalle. Deshalb das Loch, das ich im Spielplatzsand gegraben habe. Da kommt notfalls mein Kopf rein bis Aschermittwoch. Da soll ja bekanntlich alles vorbei sein. Hoffe ich wenigstens.

Hans Hoff

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