Alles begann mit einer Lüge. Als ich zum ersten Mal für den Biograph schreiben durfte, dachte ich mir etwas aus, das ich für einen gelungenen Aprilscherz hielt. Ich kündigte im „Soundtrack“ genannten Konzertkalender die Rolling Stones an, die gemäß meines Textes ihre welken Körper am 1. April 1988 im Rheinstadion auf die Bühne bringen sollten. Mir erschien eine solche Nachricht absurd genug, um einerseits Leichtgläubige zu veräppeln und gleichzeitig Wissende auf meiner durchblickenden Seite zu versammeln. Schließlich rechnete in jenen Tagen niemand ernsthaft damit, dass die damals schon greisen Stones noch sehr viel länger existieren würden, und die Vorstellung, sie könnten im für Großveranstaltungen seinerzeit nicht sehr talentierten Düsseldorf live und open air auftreten, erschien mir 1988 ebenso abwegig wie die Vorstellung, die Berliner Mauer könne irgendwann fallen.
Bekanntermaßen kam alles anders als von mir beschrieben, und es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass ich mit meinen Prognosen komplett danebenlag. Aber damit ist nun Schluss. Nach fast 34 Jahren beim „Biograph“ höre ich auf mit dem Schreiben. Keinen Soundtrack mehr, keine Kolumnen mehr, keine Ouvertüren mehr. Dies soll mein letzter Text für den Biograph sein. Out Over Roger. Klappe zu, Affe tot. Aus die Maus.
Es war eine wunderbare Zeit, die ich mit dem Biograph verbringen durfte. Ich konnte schreiben, was ich wollte, und niemand pfuschte in meinen Texten herum. Natürlich bekam ich mit, dass man sich bei so manchem meiner Elaborate in der Redaktion auf die Lippen biss, aber Einfluss nahm niemand. Ich war der Herr meiner Texte. Für einen Journalisten, der zehn Jahre in der Redaktion der Rheinischen Post und 21 Jahre als freier Mitarbeiter für diverse Medien gewirkt hat und so manches Herumfuhrwerken untalentierter Redakteure in meinen Wortgirlanden ertragen musste, waren die Zustände beim Biograph paradiesisch. Frei schreiben, etwas Schöneres kann ich mir nicht vorstellen.
Man ließ mich machen, wenn ich auf untalentierten Bands herumhackte, wenn ich mit Sprachgewalt gegen Denkmäler anrannte, wenn ich Düsseldorf die Leviten las. Wenn mir was nicht passte in der Stadt, dann konnte ich das im Biograph verhandeln, so wie ich das wollte. „Düsseldorf, wir müssen reden“, stand ungeschrieben über meinen Texten. Ich sah Dinge schiefgehen in meiner Heimatstadt, und ich konnte laut schreiben, dass sie schiefgehen. Das hat meistens einen Mörderspaß gemacht, auch wenn ich so manches Mal etwas unglücklich war, wenn mir kurz vor dem Abgabetermin nichts einfiel, was man anklagen konnte. Ich habe mich dann in Lobesreden auf Düsseldorf versucht, habe meiner Heimat Liebesbriefe geschrieben, schwülstig beschwipste Elogen gezimmert, aber wenn ich ganz ehrlich bin, gehören die Schwelgereien nicht unbedingt in die Liste meiner Top-Texte.
Natürlich habe ich auch so manchen beleidigt. Ich habe in frühen Jahren oft das Talent heimischer Musiker verkannt, wofür ich um Entschuldigung bitte. Ich habe gepöbelt, Autoritäten angepinkelt und mich lustig gemacht über mehr oder weniger ehrenwerte Mitbürger. Nicht immer war das besonders stilvoll. Aber hier und da hatte ich dann doch einen Punkt, konnte auf etwas hinweisen, das schieflief in meiner Stadt. Ob ich je etwas bewirkt habe? Ich weiß es nicht. Mir war wichtig, impulsiv Dampf ablassen zu können, und der Biograph war mein Ventil. Nochmal Danke dafür.
Die Idee, meinen Job beim Biograph aufzugeben, kam mir schon vor ein paar Jahren. Ich merkte als Düsseldorfer, der sich immer häufiger in der Eifel aufhält, dass es mir oft an der nötigen Grundaggressivität mangelte. Ich hatte nicht mehr so viel Spaß am Echauffieren. Vieles wurde mir egal. Ich sei altersmilde, klagten manche Freunde. Nun ja, ich bin 66. Und bevor einer fragt: Nein, es gibt keine gesundheitlichen Gründe. Ich bin pumperlgsund und weiter lebenslustig. Ich haue halt nicht mehr so gern in die PC-Tasten. Ich mache lieber Musik und singe in vier Bands (für ein Beispiel bitte „Blue Again“ und „Jazz Schmiede“ googeln).
Vor einem Jahr habe ich dann noch meine Wohnung im Hafen aufgegeben. Das hatte mit Corona und den damit einhergehenden Defiziten des Konzepts Stadt in Zeiten der Seuche zu tun, aber auch mit der Ruhe, die ich in meiner neuen Eifelheimat zu schätzen weiß. Einmal die Woche muss dann aber doch noch Düsseldorf sein. Dann hocke im mich in den wunderbaren Unverpackt-Laden an der Brunnenstraße, trinke einen kräftigen Kaffee und schaue aus dem Fenster auf meine Heimat, die inzwischen eine alte ist. Dass dabei der Bezug zu Düsseldorf nachlässt, beeinträchtigt natürlich meine Qualifikation für die Ouvertüre im Biograph.
Lange haben wir uns als Redaktion um eine Nachfolge bemüht und sind nun zu einer, wie ich finde, perfekten Lösung gekommen. In der Februarausgabe wird sich Anne Florack vorstellen. Sie mag die Stadt, sie liebt die Kultur, sie kennt sich aus, sie ist blendend vernetzt. Natürlich wird sie einen anderen Ton in der Ouvertüre anschlagen als ich. Wäre ja schön blöd, wenn nicht. Anne ist eine begnadete Schreiberin, und sie ist ein bisschen jünger als ich. Um es genau zu sagen: In dem Jahr, in dem ich das mit den Rolling Stones schrieb, wurde sie geboren.
Ich freue mich sehr auf ihre Texte und sage dem Biograph und allen lieben Lesern leise Adieu.
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