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Jovan Stojsin

Der Tausendfüßler wird uns fehlen

Die biograph Ouverture Februar

Auf der Kanareninsel La Palma gibt es abgesehen von ewig kläffenden Hunden kaum gefährliche Tiere. Nur ein ganz bestimmter Tausendfüßler macht dort mit seinem Gift dem Menschen zu schaffen. In Düsseldorf ist es genau umgekehrt. Da macht der Mensch dem Tausendfüßler nicht nur zu schaffen, er ist überaus gewillt, ihm auch noch den Garaus zu machen. Trauern wir also gemeinsam.

Wir nehmen Abschied von einem altgedienten Gesellen. Er hat uns immer treu gedient, er war immer für uns da, wenn wir ihn brauchten. Er ließ uns Höhe gewinnen und brachte uns sanft zurück auf den Boden der Tatsachen. Er mochte keinen Wankelmut, er forderte von uns stets eine Entscheidung. Soll ich nach links Richtung Bahnhof oder nach rechts in die Berliner Allee? Mancher von uns mag während der Beantwortung dieser Frage so in Nachdenklichkeit versunken sein, dass er übersah, dass sich just auf der Gabelung zwei freundliche Helfer postiert hatten, die nachprüften, ob denn die auf dem Tacho angezeigte Geschwindigkeit mit dem Ortsüblichen übereinstimmte.

Zugegeben, der altgediente Geselle war schon etwas in die Jahre gekommen. Er war schmuddelig. Ungeputzt präsentierte er sich vor allem von unten, wo er die Menschen mit schwärzlichem Betongrau schreckte, wo er lange Schatten warf, die nur im Hochsommer als Erleichterung verstanden werden konnten. Doch es war wie im berühmten Gleichnis. Die da unten sieht man eben nicht. Sie hatten wenig von ihm.

Wie viel mehr gönnte der altgediente Geselle indes jenen, die über ihn hinweg schwebten. Einmal liften bitte, konnte man auf Höhe des Dreischeibenhauses sagen, und dann gab es den Lift. Wer selbst sich nicht konzentrieren musste auf Fahrfragen, der konnte den Blick schweifen lassen, konnte aufs Schauspielhaus mit seinen schön geschwungenen Formen blicken, durfte das fröhliche Gewusel auf der Schadowstraße beobachten. Und dann kam das Highlight, wenn man abends glaubte, in die Umkleidekabinen des hell erleuchteten P&C-Kaufhauses blicken zu können. Für einen kurzen Moment wurde das ganz Auto illuminiert. Sehr schön für die Ewigkeit festgehalten im Jürgen-Vogel/Daniel-Brühl-Film „Ein Freund von mir“.

Ein Freund von mir. So sprechen manche auch von dem Gesellen, der nun geht. Sie haben um ihn gekämpft. Vergeblich. Für manche war er das letzte, wofür sich zu kämpfen lohnte. Wenn er geht, sagten sie, dann ist endgültig alles plattgemacht, dann besteht Düsseldorf nur noch aus sauberem Glas und glänzendem Stahl. Doch alle Unterschriften nützten nichts, die Stadtoberen blieben hart, legten sich mit Denkmalschützern an und blieben siegreich.

Was bleibt ist Trauer. Trauer auch bei jenen, die den alten Gesellen nicht mochten, die seinem Ableben durchaus Positives abgewinnen können. Aber auch ihnen dürfte der Abschied nicht leicht fallen, denn auf seine Art ist der nun uns Verlassende ein Symbol dafür, dass Düsseldorf auch mit dem Unperfekten umgehen konnte.

So lasst uns denn gemeinsam gedenken einer schönen Zeit und all der Erlebnisse, die wir auf und unterm Tausendfüßler hatten. Er hat uns nie wirklich etwas getan, er hat uns schöne Sekunden beherrscht, und bald ist er weg. Erheben wir also unsere Spitzhacken und sichern uns ein kleines Stückchen Beton aus seinem Herzen. Er wird uns fehlen. So viel ist mal sicher.

Hans Hoff

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