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Der Zwang zur Meinung

Die biograph Ouvertüre März 2015

Möchte noch jemand eine Meinung haben? Ich hätte welche abzugeben. Günstig. Ich habe zu viele davon. Ehrlich gesagt hatte ich eine Zeitlang zu allem eine Meinung, weil ich meinte, überall mitreden zu müssen. Ich war quasi im JauchPlasbergWillMaischbergerIllner-Modus. Das ist mir inzwischen ehrlich gesagt zu anstrengend geworden. Ich finde, für eine ordentliche Meinung sollte man sich gründlich informieren und nicht nur so ein paar Dinge vom Hörensagen vermengen und dann als steile These aufbereiten.

Ich bin ein bisschen hilflos, das gebe ich offen zu. Mir fehlt da was, jetzt, wo ich nicht mehr so meinungsfreudig bin. Dabei waren meine Meinungen bisher schnell gebastelt. Ich hörte Pegida und dachte: alles Idioten. Ich hörte, dass Sigmar Gabriel mit diesen Dumpfbacken spricht und dachte: Das geschieht ihnen recht.

Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher, wer denn da die größte Dumpfbacke ist. Mir ist nämlich aufgefallen, dass es in Deutschland häufiger Demonstrationen gibt, dass von den meisten aber nur die Demonstranten und die durch die Demo behinderten Verkehrsteilnehmer Notiz nehmen. Nur über Pegida wird breit berichtet. Über 50 000 Teilnehmer bei der TTIP-Demo in Berlin waren höchstens eine Meldung in der Randspalte wert. Außerdem war ja Sigmar Gabriel auch nicht da. Natürlich.

Der Papst hat kürzlich mal was gesagt, und daraus konnte man lesen, dass er es durchaus okay findet, wenn man Kinder schlägt, Hauptsache nicht ins Gesicht. Was für ein Hornochse, dachte ich. Aber dann fiel mir ein: Ist ja der Papst. Also der Mann, der das mit der Aidsprävention schön verhindert. Und das mit dem Kinderschlagen hat er angeblich auch nicht so gemeint. Aber berichtet wurde darüber, bis die Seiten glühten.

Fast noch mehr wurde berichtet über den griechischen Finanzminister, der das Hemd aus der Hose trug und keine Krawatte anhatte. Ja, holla die Waldfee, das geht doch nicht, echauffierten sich die Kommentarspaltenvollschreiber. Ich hatte schon eine Meinung dazu parat, als auf einmal neue Bilder von getöteten IS-Geiseln um die Welt gingen. Obwohl jeder weiß, dass der IS uns nicht über den Terror im Irak erreicht, sondern über die Bilder Angst macht, wurden sie überall gezeigt. Und wo sie nicht gezeigt wurden, wurde über sie berichtet. Ich fragte mich, wann zuletzt über Hinrichtungen in Saudi Arabien so haarklein berichtet wurde. Aber nein, das sind ja unsere Freunde, Panzerabnehmer und Öllieferanten.

So genau weiß ich das aber alles nicht, weil es nicht geht, von allen Themen alles zu wissenalle Fragen beantworten zu können. Warum etwa wird der US-Präsident, der per Drohne massenhaft Menschen töten lässt, die nie einen Gerichtssaal gesehen haben, nicht angeklagt? Wer hat in der Ukraine recht? Wie viele Flüchtlinge muss ich aufnehmen, bevor ich Überlastung beklagen darf. Sind 700 zuviel? Ich meine, im Nahen Osten sind Millionen auf der Flucht.

Man müsste sich schon spezialisieren. Mal ein Thema richtig anpacken und dann recherchieren, bis man mit Fug und Recht sagen kann: So ist es. Erst danach darf dann Meinung sein. Fundiert.

Ich bin allerdings ein bisschen zu müde, um zu recherchieren. Das jahrelange Meinunghaben hat mich doch sehr gestresst. Ich genieße ehrlich gesagt den Zustand der Meinungslosigkeit. Ich habe mal eine Woche keine Zeitung gelesen und kein Fernsehen angemacht. Auch kein Radio. Danach habe ich einen Freund gefragt, ob ich etwas Wesentliches verpasst hätte. Er sagte, ihm fiele auf Anhieb nichts ein.

Jetzt bin ich wieder im Rennen, ich lese wieder, ich schaue wieder fern. Aber ich halte Distanz zu den Angstverteilern. Ich lege jedes Wort auf die Goldwaage. Ich weiß, dass in den Redaktionen Menschen sitzen, die selber Angst haben. Aber nicht davor, dass der IS sich Gedanken über Kinderwürde macht oder dem Papst das Hemd aus der Hose hängt. Sie haben Angst um ihre Jobs. Die Medienbranche ist im Umbruch. Und weil sie diese Angst haben, glauben sie, jeden Tag aufs Neue ihre Wichtigkeit beweisen zu müssen. Und wie geht das besser als mit einer ordentlichen Portion Hysterie. Mit Lügenpresse hat das nichts zu tun. Niemand will dort was Falsches von sich geben. Niemand will etwas verpassen. Sie schreiben die Welt schlecht, damit es ihnen besser geht, damit sie ihre Jobs behalten. Nicht auszudenken, wenn die Welt auf einmal gut wäre und es nichts mehr zu berichten gäbe. Niemand bräuchte mehr Medien. Niemand bräuchte mehr Meinungen.

Vorher hätte ich aber noch ein paar im Angebot. Also: Eine Meinung zum IS biete ich schon für 75 Euro an, die zum Papst kann man bereits für 50 Cent haben. Pegida ist etwas teurer, und wenn mir einer die zu Sigmar Gabriel abnimmt, wäre ich geneigt auch draufzuzahlen. Hauptsache ich werde sie los.

Hans Hoff

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