Wir müssen dringend etwas zerstören. Etwas muss kaputt gemacht werden. Kann nicht mal eben ein Museum einstürzen? Oder ein Hochhaus? Die Menschen sollten vorher evakuiert werden, na klar, aber dann muss es richtig Rumms machen. Warumms? Weil ich fürchte, dass die Stadt sonst an ihrer Ordnung ersticken wird.
Auslöser meiner zugegeben bizarren Wünsche ist ein Besuch in der Kasernenstraße im Februar. Für Auswärtige: Die Kasernenstraße ist seit gefühlt 25 Jahren so etwas wie eine permanente Live-Performance. Zwischen Carschhaus und Graf Adolf Platz wurde quasi Düsseldorf im Nachkriegszustand nachgestellt. Es herrschte permanentes Baustellenchaos. Die Kasernenstraße war zuverlässig eine verkehrstechnische Wundertüte. Wenn man am einen Ende reinfuhr, wusste man nie, ob man jemals am anderen ankommen würde. Die Fragen nach dem Wann stellte sich irgendwann sowieso kein Einheimischer mehr.
Und jetzt? Nun ja, wie sag ich’s dem Kinde? Liebes Kind, du musst jetzt ganz tapfer sein. Es könnte sein, dass die Kasernenstraße demnächst fertig wird. Also zumindest auf dem ersten Teilstück. Für den Rest werden sich schon noch Baustellen finden, die den Verkehr angemessen großstädtisch einengen. Aber im ersten Teilstück droht Gewissheit. Die Kasernenstraße wird fertig. Da hilft weder zittern noch klagen.
Wie aber soll ein durchschnittlicher Düsseldorfer damit umgehen? Wie reagiert man auf solch einen Umstand der Fertigstellung? Über Jahre stand doch das Begriffspärchen „Kasernenstraße“ und „fertig“ ungefähr im Rang der Paarung „Berlin“ und „Flughafeneröffnung“.
Es soll ja Menschen geben, die überhaupt erst nach der Einrichtung der ersten Kasernenstraßenbaustelle auf die Welt gekommen sind und nichts anderes kennen als dieses ewige Kuddelmuddel. Wie erklärt man denen, dass ihre Welt schon bald eine ganz andere sein wird?
Wie soll man denn den Zustand einer werdenden, einer prosperierenden Stadt den nächsten Generationen erklären, wenn nicht anhand der Verengungen auf der Kasernenstraße? Es wurden ja schon Medizinerseminare dort abgehalten, auf denen angehenden Ärzten gezeigt wurde, was geschieht, wenn die Arterien verkalken und Durchgänge immer enger werden. Wohin mit neuen Nachwuchskräften, die künftig kein Bild fürs internistische Problem mehr haben werden?
Und dann die Frage, welchen Charakter denn der neuen Kasernenstraße zukommen soll. Was ist zu erwarten von einer Straße, die jahrzehntelang nur im Zustand der Verwundung zu erleben war und die sich nun abfinden muss mit einer zumindest oberflächlich abgeschlossenen Heilung? Müssten da nicht Psychologen ran?
Allein der Gedanke ängstigt, dass demnächst Ordnung herrschen könnte auf der Kasernenstraße und der Name der Straße dadurch erneut mit militaristischer Symbolik verfüllt würde. Stehen dann die Bediensteten des Ordnungsamts Spalier und verteilen Knöllchen an jeden, der anzuhalten wagt oder das Tempo zu verlangsamen droht, weil er es nicht anders gewöhnt ist?
Komme mir niemand mit dem Argument, es geben ja noch andere offene Baustellen. Gustaf-Gründgens-Platz und so weiter. Nein, das sind keine Wunden vom Ausmaß der Kasernenstraße. Das sind stinknormale Baustellen ohne jeden Symbolwert. Keine von denen kann ersetzen, was mir die Kasernenstraße bedeutete. Es wird eine harte Zeit. Die Stadt muss sich neu finden. Und ich mich auch.
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