Das nächste Gestern ist heute. Klingt wie einer jener Sprüche, die manchmal aus Poesiealben fliehen, um sich von dem sie umgebenden Schmonzes ein wenig abzusetzen. Zum Beispiel von „Früher war alles schöner.“
Ja, früher war Düsseldorf schöner. Das kann ich neidlos zugestehen, wenn ich mit älteren Menschen spreche. Ich kann mir dann aber nicht verkneifen, ein einschränkendes Sternchen hinzuzusetzen. So wie in der Mobilfunkwerbung, wo oben steht, dass man alles umsonst bekommt, während im mikroskopisch kleinen Sternchentext deutlich gemacht wird, dass man sich besser schon mal ein Formular für den Insolvenzantrag besorgt.
Mein Sternchen zu „Früher war alles schöner“ lautet regelmäßig: „Früher wart ihr auch jünger.“ Wer jung ist, findet sich leichter ab und gewöhnt sich schneller. Irgendwann wirkt dann das, an das man sich gewöhnt hat, mit dem man sich abgefunden hat, einfach schön.
So erklären manche Senioren, dass sie früher als Kinder so wunderbar hätten spielen können in Düsseldorf. Ja, das stimmt, aber sie erwähnen meistens nicht, dass sie zwischen Schuttbergen spielten, in irgendwelchen Trümmerlandschaften, die vom noch gar nicht so lange beendeten Krieg trauriges Zeugnis ablegten. Das konnte man schön finden, aber nur wenn man jung war.
Für jene, die früher jung waren, ist der Zustand, der in ihrer Jugend herrschte so etwas wie ihr emotionaler Besitzstand. Jegliche Veränderung wird somit als Bedrohung empfunden. Neulich hörte ich am Schadowplatz mal jemanden maulen, dass das Kö-Bogen genannte Monstrum nicht schön sei. Da habe ich mich eingemischt und gefragt, ob der Jan-Wellem-Platz mit seinen Gleisschleifen vorher schöner gewesen sei. Danach haben wir beide eine Weile geschwiegen und dann tief geseufzt.
Ja, früher standen tolle Kräne am Rheinufer, und es roch nach Abenteuer, wenn man über die Gleise direkt am Wasser stolperte. Dafür bekam man aber auch des öfteren Atemnot, weil die Abgase von der Rheinuferstraße rüberwaberten, weil dort mal wieder Dauerstau herrschte. Schön? Hmmmm.
Wer heute älter ist und früher alles schöner fand, sollte sich mal fragen, wie sich denn junge Menschen fühlen sollen, die dauernd solche Klagen hören? Denen nimmt man doch mit solch einer Dauerklage die Chance, ihre Stadt lieben zu lernen.
Düsseldorf ist schön, weil die Stadt ist wie sie ist und weil sie jetzt ist. Man kann Düsseldorf auch als älterer Mensch noch schön finden, wenn man begreift, dass der Wandel hier Dauergast ist. Nichts bleibt wie es ist. Alles bleibt anders. Wieder ein paar Poesiealbumwerke.
Dem Antrag auf einstweilige Vergnügung wird trotzdem stattgegeben. Diese Stadt ist nur so schön, wie wir sie wahrnehmen wollen. Man musste in Düsseldorf schon immer mit einem selektiven Blick unterwegs sein, weil neben dem Schönen immer auch abgrundtief Hässliches lauerte. Mit der Zeit hat man gelernt, so etwas auszublenden und trotzdem glücklich zu sein. Die Kölner beherrschen diese Kunst par excellence. Da können wir uns was abgucken.
Vielleicht sollten wir alle gemeinsam versuchen, einen zärtlichen Blick auf unser Gemeinwesen zu entwickeln. Düsseldorf besteht nicht nur aus Häusern und Straßen. Düsseldorf besteht aus Menschen. Die kann man leichter lieben als Häuser. Die Häuser liebt man, wenn man die Menschen, die in ihnen wohnen, liebt.
Daher zum Abschluss noch ein Poesiealbumsprüchlein, das man wahlweise als Sichtweisenempfehlung oder als Standortbestimmung lesen kann: Die guten alten Zeiten, von denen wir später mal schwärmen werden, sind jetzt.
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