Wir sind 600 000. Düsseldorf ist zurück im Kreis der Großen. Die Sechs steht wieder vorne, wir können feiern. Wir sind nicht nur angeblich schuldenfrei, wir sind auch noch viele. Und wir werden immer mehr.
Sagt das irgendetwas aus über die Lebensqualität in dieser Stadt? Ich verstehe, dass niemand auf diese Frage antworten möchte, sie war ohnehin nur rhetorisch dahingeworfen. Natürlich sagt die 600 000 nichts aus über die Lebensqualität in dieser Stadt. Lebensqualität ist immer noch mehr als nur eine Zahl. Lebensqualität ist das Gefühl, in einer guten Stadt zu leben, in einer Stadt mit Herz, nicht in einer Metropole der kalten Zahlen.
Düsseldorf war in den vergangenen Jahren viel zu oft die kalte Stadt der Controller. Alles wurde in Geld gemessen. Zahlen lassen sich vergleichen, innere Werte weniger. Es wird Zeit, dass wieder jene die Oberhand gewinnen, die sich für mehr interessieren als die Bilanzen.
Wie es um die Lebensqualität in Düsseldorf steht, lässt sich vielleicht ermessen, wenn man mal nachfragt, wie sich die Stadt in der Flüchtlingsfrage hervorgetan hat. Haben wir da genug getan? Oder haben wir wieder nur Geld überwiesen, damit andere tun, was wir eigentlich erledigen sollten? Sollten wir uns nicht kümmern um Menschen, die es in ihrer Heimat nicht mehr aushalten, weil dort Krieg herrscht, Ungerechtigkeit oder schlichtweg das Gesetz des Stärkeren.
Armutsflüchtlinge werden jene genannt, die daheim unter die Räder gekommen sind, finanziell nicht mehr klarkamen. Armutsflüchtlinge ist ein zynisches Wort, eines, das den Menschen, die vom Schicksal nicht auf die Sonnenseite des Lebens geboren wurden, eine Schuld zuschiebt. Sind doch selbst für ihr Leben verantwortlich, diese Armen. Sie könnten doch reich sein. Reich sein muss man nur wollen. Es geht doch, über 500 000 Menschen in Düsseldorf leben es vor.
Solche Rechnungen sind eine Unverschämtheit, und man muss schon sehr viel Unverfrorenheit mitbringen, um sich derart schuftig aus der Verantwortung stehlen zu wollen. Man erkennt eine Stadt daran, wie sie mit den Ärmsten umgeht.
So ein Umgang prägt das Klima in einer Stadt. Wer sich um die Ärmsten kümmert, zeigt, dass ihm die Mitbürger nicht gleichgültig sind. Ich meine nicht, dass man ein Amt beauftragt, sich um die Ärmsten zu kümmern. Ich meine, dass man sich selbst kümmert. Der nächste Arme wohnt nicht weit. Selbst in Düsseldorf nicht. Es ist so leicht, da zu helfen.
Nur eine Stadt, in der sich die Menschen umeinander kümmern, in der sie einander sehen und erkennen, ist eine lebenswerte Stadt. Ich weiß, ich höre mich an wie ein Pfarrer. Aber das ist mir, ehrlich gesagt, schnurzpiepegal. Ich will, dass es schön ist in Düsseldorf, und schön ist es nur, wenn hier Menschen leben, die ein Herz haben und auch wissen, wo das schlägt. Ich weiß, dass es viele sind in Düsseldorf. Viele, die guten Willens sind, die aber einfach viel zu lange geschwiegen haben, die sich gelähmt fühlten von einer kalten Administration.
Sie alle sollten die neue Zahl als Ansporn nehmen. Wir sind viele, wir sind 600 000, und wir kümmern uns um den Nächsten und um den Übernächsten. Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen. Wir können und wollen uns das leisten. Für uns, für die Stadt, für alle.
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