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Jovan Stojsin

Gebt mir ein neues Theater

Die biograph Ouvertüre April 2014

Ich war neulich mal wieder im Theater, und das, was mir da geboten wurde, hat mir die Dinge im Kopf neu geordnet. Ich habe zu einem wichtigen Thema meine Meinung geändert, weil ich gute Argumente vorgesetzt bekam, außerordentlich engagiert vorgetragen, toll gespielt. Ich war schwer beeindruckt. Dass Theater so etwas noch kann. Mich ändern. Ich dachte nur: Wow! So muss Theater sein.

Danach wurde ich traurig, weil die Beeindruckung nicht in Düsseldorf stattgefunden hatte, sondern in Duisburg. Und dort auch nicht als Leistung des örtlichen Ensembles, sondern als Gastspiel. Ich fragte mich natürlich sofort, wann das Geschehen auf einer Düsseldorfer Bühne mich zuletzt berührt hatte. Von Beihilfe zur Meinungsänderung mal gar nicht zu reden. Die Antwort fiel deprimierend aus. Ich konnte mich nicht einmal trübe erinnern.

Wenn aber Theater keine Kraft mehr hat, Menschen wie mich zu bewegen, wofür ist es dann gut? Damit irgendwer mit all den alten Tschechows Aktualität simuliert? Zur Unterhaltung? Sicherlich nicht. Tschechow ist inzwischen abgeranzter als drei Jahre altes Pommesfett, und Unterhaltung ist ohnehin überall, Unterhaltung ist verkommen zum täglichen Diktat. Wir alle sollen lustig sein. Immer. Denken wir. Wird jemand auf der Straße etwas gefragt, gibt er die Antwort gerne lachend. Das folgt der irrigen Annahme, dass wir alle cooler wirken, wenn wir pausenlos Scherze absondern. Ich finde das langweilig.

Ich will keine Menschen mehr sehen, die vor lauter Scherzen nicht mehr dazu kommen, zu sagen, was zu sagen wäre. Nicht bei Straßenumfragen und nicht auf der Bühne. Ich will keine Spaßmacher mehr sehen und auch keine Online-Aktivisten, diese Pantoffelkrieger, die vor lauter Petitionanklicken aus dem Pyjama nicht mehr herauskommen.

Ich will berührt werden. Schauspieler, Regisseure, Intendanten, müht euch, mich zu berühren. Mit dem Jetzt. Und wenn ihr mich schon nicht berührt, dann versucht wenigstens, mich zu erreichen, kurz meine Aufmerksamkeit zu erregen. Und an die Politiker: Denkt nicht, es wäre mit der Wahl eines Intendanten getan. Selbst ein guter Intendant wird scheitern in einem System, das zu 90 Prozent gefesselt ist an feste Verträge und nur zehn Prozent für das Kreative ausgeben darf. Das ist Struktur von gestern. Die gehört zerstört. Möglichst bald.

Ich frage im Monatsrhythmus meine Freunde und Bekannten, ob sie mir nicht ein Bühnenstück empfehlen können. Ich will mich nicht verlassen auf Kritiker, denn dann bin ich verlassen. Ich will Meinungen hören von Menschen. Aktuelle Meinungen. Meinungen von heute. Ich will meine Meinung nicht in einem frisch aufgeschäumten Klassiker ertrinken sehen. Tschechow macchiato oder Kleist Latte – nein Danke. Leider habe ich schon lange keine Empfehlung mehr bekommen.

Es ist höchste Zeit, den Bildungskanon neu zu schreiben. Keiner darf mehr straflos stolz darauf sein, dass er den „Faust“ zitieren, aber sein Smartphone nicht konfigurieren kann. In einer Zeit, in der sich nicht nur die visuellen Welten verschieben, muss sich auch das Theater neu besinnen, darf nicht länger als Quatschbude für Zweireiherträger und Kostümpüppchen herhalten, auch wenn die in der Politik leider viel zu viel zu sagen haben.

Theater muss jetzt sein. Hier und aktuell. Meinungsbildend und meinungsverändernd. Alles, was diesem Anspruch nicht genügt, gehört abgeschafft.

Hans Hoff

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