Düsseldorf ist die Stadt der großen Zahlen. Glauben Sie nicht? Dann liefere ich Ihnen ein paar Beispiele. Fast 300 Millionen Euro hat der Start der Tour de France der Stadt eingebracht. Also nicht direkt in bar. Aber als so genannter „Werbeäquivalenz-Gesamtwert aus Print, Online und Social Media“, wie es die Stadt stolz vermeldete. Holla, das klingt doch nach was: 300 Millionen Euro.
Aber es geht noch besser. Wir können auch Milliarden. So „wurden im Beobachtungszeitraum 1. August 2016 bis 3. Juli 2017 (9 Uhr) 47 695 Online-Artikel sowie 44 977 Social Media-Beiträge mit Nennung des Grand Départ beziehungsweise der Tour de France veröffentlicht, welche manuell auf Relevanz geprüft wurden. Dabei erzielten die Online-Artikel eine potenzielle Reichweite von 106,2 Milliarden, die Social Media-Beiträge 4,2 Milliarden.“ So weit der Originalton der Stadtveröffentlichung.
Muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: 106,2 Milliarden Reichweite. Milliarden!!! Zwar nur mögliche Reichweite, aber liest sich halt toll in der Bilanz, vor allem, wenn man nicht damit rausrücken will, was diese Aktion wirklich gekostet hat. Es soll ja Stimmen geben, die der Tour Gesamtkosten von 17 Millionen Euro und damit ein Defizit fast im zweistelligen Millionenbereich prognostizieren. Genaues wird man nie erfahren, auch dann nicht, wenn der OB irgendwann eines fernen Tages die Endabrechnung serviert. Zu viele Positionen dürfte man da nur unter Vorbehalt genießen können. Etwa die Sponsorenbeteiligung, die hauptsächlich aus Aktivitäten der Stadttöchter bestand, die mit dem Geld auch ein Sozialprojekt hätten sponsern können. Aber den Stadttochter-Chef möchte ich sehen, der sich in solch einem Fall den OB-Wünschen verweigert hätte.
Nun war der Grand Depart nach Meinung vieler, die dabei waren, ein schönes Ereignis. Trotz des Regens. Viele haben gefeiert, und es sei ihnen auch gegönnt. Doch hätte man noch viel erleichterter gefeiert, wenn man nicht ständig mit dem Gefühl schwanger gegangen wäre, dass die Stadtführung dauernd Nebelkerzen wirft, aus denen unentwegt Phantasiezahlen herausrauchen. Ein bisschen Ehrlichkeit und ein bisschen weniger Übertreibung täten dem Anliegen, die Stadt in Bewegung zu bringen und international mal den Finger zu heben, durchaus gut.
Aber was macht die Stadt? Sie macht weiter wie gewohnt. Als Mitte Juli von der Bewerbung für die Fußball-EM im Jahre 2024 die Rede war, wurde wieder mal eine Monsterzahl in die Öffentlichkeit gepustet. Danach unterstützen 88 Prozent der Bevölkerung in der Region die Bewerbung. Eine Umfrage von Nielsen Sports wurde als Beleg angegeben, und die Lokalpresse multiplizierte den Quatsch hilfsbereit an ihre Leser.
An der Umfrage waren gerade mal 500 Menschen beteiligt, und die bekamen die Frage „Wie stehen Sie persönlich dazu, dass sich die Stadt Düsseldorf um die Austragung von Spielen der Europameisterschaft 2024 bewirbt?“ vorgelegt, ohne einen Verweis auf die anstehenden Kosten. Genauso gut und unverbindlich hätte man auch fragen können, wie man persönlich dazu steht, wenn einem eine Taube auf den Kopf scheißt. Ein ähnlich hoher Wert wäre garantiert. Natürlich als Ablehnung. Statistik ist eben immer auch das Ergebnis der Fragestellung.
Das statistische Vermögen der Umfrager mal in allen Ehren, aber eine Zahl wie 88 Prozent klingt mir doch sehr nach nordkoreanischen Verhältnissen. Das hieße ja, dass gerade mal etwas mehr als zehn Prozent der Menschen in der Region dagegen sind. Bin ich der einzige, dem das komisch vorkommt? Dieses ständige Wuchern mit absurden Größen? Bin ich so blöd, dass man mir jedes Mal Geld, Gold und ein langes Leben versprechen muss, auf dass ich Ruhe halte und hinterher fünf Euro fürs Stillhalten zugesteckt bekomme?
Wie wäre es zur Abwechslung mal mit ein wenig Ehrlichkeit, mit ein bisschen weniger dicker Hose? Einfach mal nur sagen, was ist? Wir können doch über alles reden. Wir wollen nur nicht andauernd verscheißert werden.
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