Düsseldorf zerfällt. Die Karnevalisten sind gespalten. Sie nennen einander Penner oder sind sonstwie mit Wahrheitsfindung beschäftigt. Bei der Fortuna ist der neue Trainer nicht der alte, und immer noch trennt der Rhein die eine Seite der Heimat von der anderen. Zwischen Eller und Bilk gibt es quasi keine Verbindungen, und wer südlich der Stadtmitte groß geworden ist, kennt Lierenfeld allenfalls als Anblick beim Anflug auf den International Airport. Noch sind nirgendwo Separatisten gesichtet worden, die ihr eigenes Süppchen kochen. Noch steht diese Stadt zusammen. Aber wie lange noch?
Mir stellt sich da die Frage, was uns eigentlich eint. Wie kommen wir angesichts all des uns offensichtlich Trennenden dazu, mehrheitlich problemlos zusammen zu leben? Wir gehen uns morgens im Treppenhaus nicht an die Gurgel, wir schlagen niemanden nieder, der beim Edeka stundenlang Kleingeld sucht, das er nicht hat. Wir vertragen uns. So einfach ist das.
Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich weiß, das ist schwer angesichts der Flut von Katastrophenmeldungen, die täglich auf uns niederprasselt. Ich glaube trotzdem, dass die meisten gut sind. Unser Gemeinwesen funktioniert. Nicht immer knirschfrei. Aber es funktioniert.
Wie gut das funktioniert, konnte ich erst neulich erleben, als mir eine Kassiererin bei Edeka den Arsch gerettet hat. Oder besser gesagt das, was ich in dessen Nähe aufzubewahren pflege. Zum Bezahlen hatte ich meine Geldbörse auf dem Fließband abgelegt – und vergessen. Eine halbe Stunde später fiel es mir beim Griff ans Gesäß auf. Der Weg zurück zum Edeka war der fürchterlichste Moment des Monats. Der schönste war, als die Kassiererin mir mein Portemonnaie hinhielt. „Nächstes mal besser aufpassen, junger Mann“, sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln, und ich konnte nur kleinlaut reagieren und danke sagen.
So sind sie, die meisten Menschen hier. Ehrlich. Ich auch. Kürzlich habe ich einer Frau, die mir auf zehn Euro 44 Euro herausgeben wollte, kurz angelächelt und ihr gesagt, dass sie am Abend sicherlich schwer unglücklich werde, wenn sie das Geschäft hier so wie geplant durchführe. Sie guckte erst verdutzt, weil sie mich für einen Besserwisser hielt, dann schaute sie auf die Scheine und errötete. „Danke“, sagte sie ganz leise. Und verschämt. Dann haben wir beide gelacht. Im Wissen, dass das Spaß macht, offen und ehrlich miteinander umzugehen.
Mal lächeln zwischendurch. Einfach so. Sich vornehmen, den nächsten Passanten anzulächeln und den übernächsten nicht nur anzulächeln, sondern ihn auch zu grüßen. Fröhlich.
Was dann passiert, ist Glück, das aus Verwunderung erwächst. Niemand rechnet mehr damit, freundlich behandelt zu werden. Dabei begegnen uns täglich jede Menge zuvorkommende Mitmenschen. Die wenigen Idioten lernt man zu übersehen. Die fallen nichts ins Gewicht.
Aber die meisten können lächeln. Geben wir es und holen wir es uns. Dann müssen wir uns keine Gedanken mehr machen über das, was uns trennt. Dann genießen wir das, was uns eint. Der Gedanke an eine schöne Stadt beispielsweise.
Eine Stadt, die jetzt im Frühling erblüht und uns das Muffeln verleidet. Wer angesichts der Blütenpracht und der nun immer häufiger anzutreffenden Temperaturen keine gute Laune kriegt, dem ist nicht zu helfen, der sollte mal seinen Puls checken lassen, ob er noch lebendig ist.
Düsseldorf ist eine schöne Stadt mit schönen Menschen und schönen Straßen und schönen Begegnungen. Nennt mich einen Romantiker, nennt mich weltfremd, gebt mir Tiernamen. Ich werde euch im Gegenzug anlächeln und fragen: „Na und?“
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