Mal kommen sie, mal bleiben sie weg. Für Menschen, die eine Bühne betreiben, ist und bleibt es oft ein Rätsel, was ihr Angebot zum Renner qualifiziert oder zum Flop degradiert. Da mag man sich noch so viel Mühe geben, mag das Gehirnschmalz durch alle verfügbaren Windungen zwingen, das Publikum bleibt aus. Immer öfter. Es ist nicht nur das Schauspielhaus, das mit dem Zuschauerschwund zu tun hat, es sind auch andere Bühnen, die Mangelerscheinungen in Sachen Öffentlichkeit zeigen.
Natürlich gibt das niemand offen zu. Gerne werden Publikumsstatistiken geschönt oder Vorstellungen kurzerhand mit großzügiger Freikartengabe bevölkert. Ausverschenkt heißt das. Es täuscht nicht darüber hinweg, dass immer mehr Bühnen immer weniger Zuschauer haben.
Ein paar Knaller gibt es natürlich. Wenn Volker Pispers redet, muss man das nur einmal halblaut vor der Bühnentür sagen, schon stehen alle Signale auf ausverkauft. Gleiches gilt leider auch für Mario Barth. Und wenn vor Weihnachten die Zauberflöte auf dem Programm steht, ist rasch auch der letzte Platz besetzt. Das heißt im Gegenzug aber auch, dass woanders die Ränge leer bleiben.
Das ist für Künstler wie Zuschauer oft gleichermaßen unangenehm. Gute Künstler treten ja auf nach der Devise, dass gespielt wird, wenn mehr Menschen im Publikum anwesend sind als auf der Bühne. Das kann bei Solokünstlern auch schon mal eine sehr einsame Show werden. Andererseits erweist sich der wahre Künstler, wenn er sich auch für eine kleine Schar große Mühe gibt. Manchmal ist es sogar beglückender, wenige Menschen mitzureißen als eine große Masse.
Auf der Suche nach den Gründen für den Publikumsschwund trifft man auf verschiedene Theorien. Die eine sagt, dass eine größere Zahl von Anbietern auf ein gleichgroßes Publikum trifft. Dem gegenüber steht die These, dass ein vergrößertes Angebot auch einen vergrößerten Bedarf weckt. Eine dritte Annahme geht davon aus, dass schlechte Aufführungen zur Zuschauerebbe führen. Als Gegenbeweis ließe sich da leicht ein Name anführen: Mario Barth.
Die bedenklichste Theorie ist indes jene, die der jahrelang brummenden Live-Konjunktur einen bedenklichen Abschwung attestiert. Im Zuge pausenloser medialer Rundumversorgung sinkt demnach der Bedarf an kulturellem Input der lebendigen Art. Wer tagsüber dauernd auf sein Smartphone schaut und zwischendrin auf dem Notebook ein paar YouTube-Filmchen streamt, ist möglicherweise am Abend, wenn die Bühnen bespielt werden, geistig zu erschöpft, um noch teilnehmen zu wollen.
Das würde erklären, warum Großveranstaltungen trotzdem noch ihren Schnitt machen. Dort muss man sich dem, was auf der Bühne geschieht, nur noch bedingt aussetzen. Wer einmal die Handyfilmchen von solchen Events einer Inventur unterzieht, wird vor allem merken, dass während eines Konzertes, während eines Vortrages pausenlos gequatscht wird. Das, was vorne passiert – Nebensache.
Die Menschen gehen dort nicht mehr hin, um etwas zu sehen, sie gehen nur noch hin, um sozial mithalten zu können, um bei ihren verbliebenen echten Freunden zu sein, um etwas posten zu können, das ihr Dabeisein belegt, um zu zeigen, dass sie sich im selben Raum aufhalten wie ein großer Künstler.
Die Probleme beginnen jenseits dieser Massenzuschauerhaltung, beginnen dort, wo der Zuschauer gefordert ist, wo er mitdenken muss. Vielleicht verabschiedet sich die Gesellschaft aber auch von einem überkommenen Bildungsbegriff. Verlieren Shakespeare und Goethe gerade ihre Relevanz für die allgemeine Geisteskultur? Werden sie ersetzt durch die Inhalte, die Google und Apple auf die Agenda setzen?
Wer die Antwort kennt, springe bitte auf und rufe dreimal laut „ich“. Gut, nichts ist zu hören. Ich spendiere daher mal eine Anregung. Ist es nicht an der Zeit, die Generation Kopf unten mit neuen Inhalten zu ködern, die neue digitale Bildung zu verknüpfen mit der traditionellen? Muss der Begriff der kulturellen Öffentlichkeit nicht dringend neu definiert werden? Ich glaube schon. Es reicht nicht, sich von Misserfolg zu Misserfolg zu hangeln. Irgendwann klappt auch das mit dem Ausverschenken nicht mehr. Dann bleiben auf der Bühne endgültig mehr Akteure als Zuschauer im Publikum. Davor wollte ich nur mal gewarnt haben.
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