Die Ausstellung „tomodachi to – Mit Freund*innen“ in der Kunsthalle am Grabbeplatz scheint zunächst nicht sonderlich spannend. Es ist nicht die erste Ausstellung, die die Präsenz der japanischen Kulturschaffenden in Düsseldorf – nun zum 160. Jubiläum der offiziellen Japanisch-Deutschen Freundschaft – würdigt. Das Konzept besteht darin, dass fünf eingeladene japanische Künstler_innen ihrerseits jeweils eine/n befreundete/n Künstler_in eingeladen haben. So sind neben Yuji Takeoka und Yoshitomo Nara auch Magdalena Jetelová und Karin Sander beteiligt. Die Exponate sind mit Leihgaben gezielt ausgesucht oder teils vor Ort entstanden. Die Präsentation ist ausgesprochen großzügig, jeder Künstler hat einen ihm zugewiesenen Platz. Der Seitenlichtsaal ist diesmal geschlossen, er wird saniert. Und dann stellt man fest, dass einer der Künstler an mehreren Stellen in der Kunsthalle vertreten ist. Zunächst verwundert es, dass von Masao Nakahara zwei Gemälde im Kinosaal gezeigt werden, die über dreißig Jahre alt sind. Aber im Treppenhaus sind seine aktuellen Skizzenbücher in Vitrinen ausgestellt und im oberen Saal, von dem aus man die frühen Malereien sehen kann, befinden sich eine Wolke ganz neuer Zeichnungen sowie ein Feld kleiner Skulpturen, die teils erst jüngst fertiggestellt wurden, und, ja, alles stammt von Masao Nakahara und zeichnet sich durch eine Kontinuität aus, in der sich alles ergänzt.
Schon das, es gibt von ihm keine Arbeiten, in denen nicht Menschen, Figuren vorkommen, durch sein ganzes Werk hindurch. „Ich glaube, wenn ich nicht Menschen male, habe ich keinen Grund zu malen“, schreibt er aus Tokio, wo er sich in diesen Wochen, nach der Eröffnung in der Kunsthalle, aufhält. Aber es geht niemals um ein äußeres Porträtieren oder anekdotisches Rekapitulieren von Wirklichkeit. Vielmehr scheinen alle Figuren aus persönlichen Erinnerungen transzendiert und dann einen Zustand des Allgemeingültigen anzunehmen. Kennzeichnend ist ihr prekärer Status, sei es dass sie in Situationen eingebunden sind, die ihre schiere Existenz befragen, oder dass sie in der Vorstellung verbleiben: dass ihnen etwas Traumhaftes eigen ist und sie dabei Episoden über das Menschsein durchlaufen.
So entstammen die Köpfe auf den Zeichnungen ganz der augenblicklichen Eingebung, notiert in einem Rutsch, manchmal aber auch erst allmählich im Wieder und Wieder abgerungen. Bildfüllend freigestellt auf teils eingefärbtem Grund, sind die skizzenhaft notierten Gesichter dem Betrachter aufmerksam zugewandt und nehmen die Kommunikation mit diesem auf. Für Masao Nakahama könnten sie Vergegenwärtigungen der Menschen sein, die ihm am nächsten sind. In ihrer Unmittelbarkeit schließen die eigentlich privaten kleinen Zeichnungen an die großen Gemälde an, die in den frühen 1980er Jahren, also fast vier Jahrzehnte davor entstanden sind. Als Köpfe, Ganzfiguren oder Akte im expressiv flockigen Auftrag der erdigen, oft roten Farbe mit breitem Pinsel auf Leinwand oder Papier im Vordergrund formuliert, besitzen sie eine enorme Gegenwärtigkeit und plastische Präsenz.
Mitte der 1980er Jahre verlagert Masao Nakahara das Bildgeschehen in die landschaftliche Natur, in der die Menschen nun oft zu mehreren auftreten. Nun verwendet Nakahara auch ein Motiv – das einzige bis heute –, das direkt auf die japanische Herkunft weist: den blühenden Kirschbaum. Ein Paar verschwindet in ihm oder eine skizzenhafte Figur zieht ihn mit sich und bricht darunter fast zusammen, oder die Blüten verschmelzen mit einem Kinderwagen. Masao Nakahara zitiert aus der Erinnerung einige Prosazeilen von Motojiro Kaji: „Unter dem Kirschbaum sind Leichen begraben. Du kannst daran glauben. Warum? Weil sonst wäre es unglaublich, dass der Kirschbaum so wunderschön blüht.“ Die aufreizende Schönheit und die Vergänglichkeit, die Assoziationen zu Fleisch und Leichnam und die flirrende Fülle, die einen umfängt und nicht mehr freizugeben scheint, faszinieren ihn als Malerei und Erzählung und machen nun auch den Reiz der bildnerischen Umsetzungen aus. Lächelnd weist Masao Nakahara noch darauf hin, dass der Kirschblüten-Baum ein bisschen auch eine Reaktion auf Gotthard Graubners Kommentierung der frühen studentischen Bilder sein könnte, da wäre ja nichts Japanisches zu erkennen.
Masao Nakahara wurde 1956 in der Präfektur Saitama geboren. Er hat zunächst ein Pharmaziestudium absolviert und eine handwerklich ausgerichtete Kunstschule in Tokio besucht und ist direkt danach nach Deutschland gereist, um sich hier der Kunst zu widmen, mit Erfolg. Er wird an der Akademie angenommen, zunächst an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und dann an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er in der Klasse des Bildhauers Karl Bobek studiert. Später schließen sich Semester bei Dieter Krieg an. Die Beschäftigung mit der Figur in ihrer Konzentriertheit sowie das Schildern eines weiten, unabsehbaren Bildraumes, in dem die Figur in Handlungen oder der Kontemplation begriffen ist, kennzeichnen bis heute viele seine Bilder, mitsamt einer fantastischen Erfindungsgabe. In der Landschaft sind die Menschen als perspektivische Kontraktionen abstrahiert und wirken mitunter embryonal, der Kopf ist mächtig, die Beine sind schmächtig. Solche Figuren sitzen etwa auf einer in die Tiefe langgezogenen Parkbank, so auch im Gemälde von 1989 in der Kunsthalle. Natürlich hat das etwas Gleichnishaftes, deutet verschiedene Lebensalter an und den Wechsel vom Leben in den Tod. Weitere Leitmotive in Nakaharas Werk sind die Brücke über das Wasser und, als Geländer verlagert in die Vertikale, die Leiter sowie das Boot, in dem die Menschen zu mehreren sitzen. Nakaharas Figuren suchen, in die Welt geworfen, nach einem Halt, sind dabei unruhig unterwegs. Hinzu kommt die Metapher der Natur als das Ursprüngliche und Machtvolle oder Domestizierte, übersetzt in eine Malerei, die die Ferne als Detail heranholt und doch unübersehbare Weite vermittelt. „In einem Bildraum von saugender Tiefe sind die Figuren ihren Achterbahnfahrten ausgeliefert“, hat Dieter Krieg dazu geschrieben.
Bis heute entstehen auch kleine und kleinste Skulpturen, die den gleichen Motiven, ebensolchen Situationen und Fragestellungen mit ihren spezifischen Möglichkeiten nachgehen. Die Figuren demonstrieren ihre physische Erscheinung, etwa den großen, (Gedanken-) schweren Kopf, der von einem Gerüst gehalten werden muss, oder das Ansteigen auf der Leiter mit den zerbrechlichen Sprossen als andauernder, mühsamer Prozess oder die Kommunikation der Figuren miteinander, die damit einen realen Raum definieren. Zugleich lassen sich sensible Beobachtungen des Alltäglichen ausmachen, ein Weiterdenken bis hin zum still Humorvollen, auch in den szenischen Ideen, die Nakahara umsetzt und selbst erfindet. Dazu gehört schließlich sein Umgang mit dem Material. Alles soll mit Leichtigkeit daherkommen und entsprechend leicht, auch in der Handhabung, sein: Seine Skulpturen evozieren mit Wachs, Pappmaché, Draht, auch Gips und sodann dem changierenden Ton der Bemalung den Eindruck teurer, schwerer Materialien wie Eisen oder Bronze. Was robust scheint, ist in Wirklichkeit verletzlich. Eine sublime Lebhaftigkeit kennzeichnet die vibrierenden, schründigen Strukturen mit ihren Fühlern. Und auch wenn sich Masao Nakaharo als Maler versteht, erreicht er hier genauso die Sensibilität und psychische Durchdringung, die seine Gemälde und auch Zeichnungen auszeichnet. Sie deuten eine innere Fragilität des Einzelnen an, ein sich-Zurechtfinden in der Welt mit der Balance zwischen Allein-Sein und Gemeinschaft auf der Suche nach der eigenen Identität, die sich mit der Erinnerung und im Blick in die Zukunft – und im Wissen um die eigene Sterblichkeit – herauskristallisiert.
Die Werke von Masao Nakahara sind nun erstmals seit vielen, vielen Jahren zu sehen. Denn nachdem er bis in die frühen 1990er Jahre an mehreren Ausstellungen vor allem in Düsseldorf teilgenommen hat (darunter eine Doppelausstellung mit Yoshio Yoshida in der Galerie Sels in Neuss 1991), hat er sich für über zwei Jahrzehnte von der Kunst zurückgezogen. Erst um 2015 sind wieder Skulpturen und dann auch Gemälde entstanden. Es war Yoshitomo Nara, der ihn für dieses Projekt in der Kunsthalle vorgeschlagen hat. Natürlich gibt es dort auch andere großartige Beiträge zu sehen, etwa die Wandmalerei von Anca Muresan oder die Wandskulptur von Yukako And?. Aber schon diese Einzelausstellung in der Gruppenausstellung ist ein Erlebnis.
tomodachi to – Mit Freund*innen
bis 24. Oktober, Kunsthalle Düsseldorf am Grabbeplatz,
www.kunsthalle-duesseldorf.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
FARBE UND LICHT. FOKUS AUF DIE SAMMLUNG
Die aktuelle Ausstellung im Museum Ratingen
„Kunst-Stücke“ Anna Schlüters Blick auf
„TYPEFACE: K“, 2022 von Hyeju Lee
Ein Jahr Galerie „Kiek ma rin“ in Erkrath
Ein Grund zum Feiern!
200 Jahre Düsseldorfer Karneval im Blick
Ulrich Fürneisen
Eine Landschaft
Schnell und entschleunigt
Harald Naegeli im Bilker Bunker
Kunst aus Verantwortung
Katharina Sieverding in K21
Ari Benjamin Meyers
Die Wirkung von Gesang
Jürgen Grölle
Assoziierte Landschaften
Avantgarde in der Malerei der sechziger Jahre
Konrad Lueg im Kunstpalast
Siegfried Anzinger
Mit der Figur
Fortschritt in der Fotografie
Thomas Ruff im neuen Malkastenforum
Ralf Brög
„JEL_Dreamer“, 2021
Theresa Weber
Identität und Identitäten
Fließend und weich
Sheila Hicks in Düsseldorf
Jakob Albert
„SHIP 5“, 2024
Stefan à Wengen. The Power of Love
bis 26.1.2025 im Museum Ratingen
Anys Reimann
Vielstimmig im einen
Zukunft ist jetzt
Die Schenkung v. Florian Peters-Messer im Kunstpalast im Ehrenhof
Lukas Köver
BÜSTE, O.T., 2024
Unter Beobachtung
Lynn Hershman Leeson in der Julia Stoschek Foundation
Wolfgang Nestler
Form und Bewegung im Raum
Thorsten Schoth
ROSETTE I: #CONTEMPLARE, 2023
Eine Straße
Zur Zukunft der Innenstädte am Beispiel der Graf-Adolf-Straße - noch bis zum 18.8.
Claudia Mann
Formen körperlicher Anwesenheit