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Ouverture Juni 2012
Jovan Stojsin

Oh Fortuna oder Die Predigt vom Gipfel

Ouvertüre Biograph Juni 2012

Köln ist am Boden. Der 1. FC hat mit einem Trauerspiel dafür gesorgt. Nun schmeckt das Kölsch noch weniger als zuvor, und die kunstvoll gezwirbelten Schnauzbärte hängen ebenso auf Halbmast wie die Bilanzen der Stadt. Alles desolat in Domcity. Eigentlich wie immer. Oh Podolski.

Und nebenan? Oh Fortuna. Eine Stadt im Siegestaumel. Wenn auch nur für eine Weile. Schaler Beigeschmack wegen dummer Fans. Trotzdem wird der Höhenflug, der Düsseldorf ohnehin seit Jahren erfasst hat, kurz mal noch eine Stufe höher erledigt. Rein mit dem Turbo. Über den Wolken...

Kann es Düsseldorf noch besser gehen, dachte ich in den kurzen Momenten der überschäumenden Euphorie? Und dann erinnerte ich mich wieder an Heiner Müllers legendären Satz demzufolge Optimismus nur einen Mangel an Information darstellt. Nichts ist so schön wie es aussieht. Nichts bleibt wie es ist. Genau da kam die Spielunterbrechung. Oh Fortuna.

„It's lonely at the top“, hat mal ein kluger Mann gesagt. Sehr eisig die Winde am Gipfel, sehr nah die Sonne. Manchmal zu nah. Man muss zusehen, dass man nicht weggeweht wird oder sich die Flügel verbrennt. Aber nein, daran wollte in der Zeit des Erfolgsrausches niemand in dieser Stadt denken. „It's also very nice at the top“, wurde den Bedenkenträgern entgegnet. Oh Fortuna.

Erfolg kann man trinken. Erfolg hat viele Prozente, die sich im Blut des Berauschten zu bemerkenswerten Promillezahlen auftürmen. Oh Fortuna. Nicht alles, was schön ist, bleibt auch schön. Siehe: Das Spiel. Überall lauern finstere Gestalten. Manche sind Piraten. Manche sind Banker. Manche Politiker.

Trotzdem gehört der Gipfel dir. Du bist der Erste. Aber der Gipfel bleibt nicht deiner. Auch andere wollen ihn. Sie steigen auf den Punkt, der doch dir gehören sollte. Auf deinen Gipfel, an dem du eben noch standest. „Was ist mit meinem Urheberrecht. Ich war doch der erste“, schreist du. Aber niemand will dich hören. Dein Gipfel ist nicht dein Gipfel allein. Du musst lernen zu teilen. Nichts auf dieser Welt gehört dir allein. Oh Fortuna.

Und wo geht man hin, wenn man den Gipfel erreicht hat? Ein Blick in die Runde weist die Richtung. Vom Gipfel führen alle Wege nach unten. Oh Fortuna. Du kannst schon mit dem Ankommen nicht umgehen. Wie soll das werden?

Du hast den Berg erst besiegt, wenn du wieder im Tal bist, lautet eine Bergsteigerweisheit. Das Streben nach oben ist das eine, die Achtsamkeit beim Abstieg das andere. Wie viele sind schon auf der Strecke geblieben, weil sie sich auf dem Weg hoch verausgabt haben. Ihnen fehlte die Kraft für einen behutsamen Abstieg. Die Kraft, auf die eigenen Schritte zu achten. Und niemand war da, ihnen zu helfen, weil jeder genug damit zu tun hatte, auf sich selbst acht zu geben. Oh Fortuna.

Herr, leite mich auf dem rechten Weg. Gib mir die Kraft, die Mühen der Ebene zu ertragen. In den Kirchen der Stadt wird gebetet. Oh Fortuna. Herr, leite mich und lass mich meinen Nachbarn, meine Mitstreiter, meinen Bruder nicht aus den Augen verlieren.

Erfolg ist schön. Erfolg ist aber niemals das Werk des Einzelnen. Erfolg ist immer gemeinschaftliche Anstrengung. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann gelingen, was gelingen soll. Und nur dann kann der Erfolg zu einem dauerhaften Partner werden. Dazu muss man auch die Dummen integrieren. Oh Fortuna. Oh Düsseldorf.

Die Straße ist lang. Mit vielen Windungen. Sie führt uns nach Gottweißwohin. Ins Entbehren, ins Leiden, ins Lieben. Es ist eine lange, lange Straße. Aber ich bin stark. Stark genug, ihn zu tragen. Er ist nicht schwer. Er ist mein Bruder. Oh Leben.

Hans Hoff

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