Ist Grau eigentlich offiziell als Farbe angemeldet? Wenn ja: Wer hat das zugelassen? Grau ist keine Farbe, Grau ist das Nichts, die Hoffnungslosigkeit, die Aufgabe des Muts. Wer grau sagt, lockt das Grauen. Das liegt nah beieinander, obwohl im Grau nichts nebeneinander liegen kann, weil Grenzen verschwimmen, weil Kanten nicht mehr existieren. Im Grau ist alles gleich. Grau ist egal.
Düsseldorf im November ist vor allem grau. Komme mir keiner mit irgendeiner Statistik und schwafele jetzt von Sonnentagen. Der November ist grau.
Das wäre nicht weiter schlimm, würde dieser verdammt nutzlose Monat nicht das ganze Leben infizieren. Nichts macht mehr Spaß. Am laufenden Band sterben Freunde. Niemand wird älter im Novembergrau, es verblasst nur vieles. Der Alltag, das Tun, das Sein.
Es gibt Berufsoptimisten, die sagen, der November sei ein Erholungsmonat. Man könne in dieser Zeit nochmal durchatmen, bevor der Weihnachtstrubel alle Sinne benebelt. Solche Menschen werden bezahlt für ihre gute Laune. Wer im November gute Laune hat, kriegt Geld dafür, oder er nimmt Drogen.
November ist die Zeit der Depression. Manche euphemisieren das ein bisschen und sprechen von Melancholie. Habe ich früher auch getan und dann geschwärmt von traurigen Momenten, von Gefühlen des Verlassenseins, von jenen Situationen, da man am Fenster steht und die aufklatschenden Regentropfen zählt, sich Zeit nimmt, sie herabrinnen zu sehen. Irgendwann sind die Tropfen verschwunden, aber die Depression ist immer noch da. Keine im klinischen Sinne, halt das, was der Großstadtmensch mehrfach durchmacht, wenn er mal zur Besinnung kommt.
Das Schlimme am November ist die Besinnung. Wer es schafft, durch den Monat zu hetzen, ohne aufzusehen, hat es gut. Man muss sich beschäftigen in dieser trüben Zeit. Wer sich nicht beschäftigt wird traurig. Er muss zum Arzt. Der sagt dann: Sie haben November.
Allerdings ist nicht zu verhehlen, dass der November auch gute Seiten hat. Weil alles verschwimmt, wird auch das Hässliche diffus. All die Baustellen sind plötzlich verhüllt vom Nebel. Wer will, kann sie sich wegdenken. Aber selbst der Gedanke, dass die Baustellen irgendwann in nicht allzu ferner Zeit wirklich weg sein werden, klingt im November bedrohlich. Wie soll man sich orientieren in einer Stadt ohne Baustellen? Es soll doch Kinder geben, die geboren wurden, als die ersten U-Bahnbaustellen aufpoppten. Was sollen die nun denken, wenn nächstes Jahr die Zäune wegfallen. Ich vermute, sie werden orientierungslos durch die Stadt irren, weil sie die Schönheit des Perfekten nicht ertragen. Für sie ist dann das ganze Jahr November.
Das Schönste am November ist der Gedanke, dass er irgendwann aufhört. Gebt uns Schnee, gebt uns Sturm. Aber nehmt uns diesen nichtsnutzigen Monat. Weg mit dem farblichen Einerlei, mit Niesel und Griesel, mit Nebel und Dunst. All das braucht kein Mensch. Gäbe es ein Ranking der Monate, käme der November ziemlich sicher auf den letzten Platz, höchstens gefährdet vom Januar. Der ist auch nur so ein Durchgangsmonat. Aber im Januar kann man sich wenigstens was vornehmen und auf die Karnevalisten schimpfen. Die haben es immer verdient, dass man auf sie schimpft.
Der November ist der Loser-Monat, der Thomas de Maizière unter den Jahreszeiten. Keine anständige Liebe hat je im November begonnen. Im November gehen Beziehungen zu Ende. Im November passiert viel Schlimmes.
Ich schreibe deshalb an das zuständige Amt für die Monatsverteilung. Bitte gebt uns mehr August und mehr März, von mir aus auch Mai und September. Aber behaltet diesen November bei euch. Nehmt uns dieses Grau.
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