Ein Detail, am Schluss des Pressegesprächs in Bonn: Über die Ausstellung im Kunstmuseum hinaus bleibt Thomas Scheibitz im Rheinland präsent. Zum Sommersemester wechselt er als Professor für Malerei von der UdK Berlin an die Kunstakademie Düsseldorf. Thomas Scheibitz, der 1968 in Radeberg geboren wurde und heute mit seinem Atelier in Berlin arbeitet, hat 2005 – gemeinsam mit Tino Sehgal und auf Einladung von Julian Heynen als Kurator – den Deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig bespielt. Scheibitz hat eine singuläre malerische Position mit einem hohen Wiedererkennungswert entwickelt. Die lichthelle, im Bildfeld räumlich angelegte Malerei nähert sich mit ihrem verknappten, konstruktiv orientiertem Vokabular der Wirklichkeitswiedergabe an und geht doch zu ihr auf Distanz. Stephan Berg vom Kunstmuseum Bonn hat vom „Bauen der Bilder“ gesprochen, auf der Basis eines von Scheibitz angelegten Archivs mit Konzentraten der dinglichen Realität. Als Alphabet wird es von Scheibitz im Bild indes konterkariert, z.B. durch das Einfügen expressiver Farbpartien. Dazu trägt die Farbigkeit mit speziellen Pigmentmarkern bei, die in in ihrer faserigen Sättigung wirken, als würden sie von innen beleuchtet. Konstitutiv ist die Linie, die die einzelne Form konturiert, meist in kräftigem Schwarz, teils mit einer grauen Zone, die Dreidimensionalität evoziert. Im Bildfeld sind rechtwinklige Formen und breite Bänder aufgerichtet und verspannt, dazu kommen schräg geschnittene Körper und Scheibensegmente, die das Substanzielle von Holz tragen. Kippende Flächen lehnen gegeneinander. Auch die runden und spiraligen Formen besitzen eine stabile, weil flächige Präsenz in angenehmer Klarheit: wie schematisiert im Sinne kollektiver Vertrautheit.
Dabei stellt sich der Eindruck von Bühnenräumen mit ihren Kulissen ein, in die man über Schrägen und Treppenkonstruktionen eintritt. Es überrascht nicht, dass Scheibitz auch Skulpturen und in Bonn sogar einen Raum aus plastischen Versatzstücken errichtet hat. Wie bei den Gemälden versucht man, in die Ecken der Kammer zu schauen, die einen architektonisch modellhaften Charakter besitzt. Und dann sind diese mithin kubischen Körper wieder der Stoff, aus dem die Bilder gebaut sind: die Orientierung und den Boden unter den Füßen bieten und diesen doch zugleich wegziehen. Die einzelnen Elemente aber sind Ergebnis, wie Scheibitz gesagt hat, des laufenden Prozesses „ambivalenter Justierung zwischen Anschauung, Erinnerung und Erfindung“. Neben hochkomplexen Ensembles entstehen Beschreibungen, die lapidar auf ein Sujet hin konzentriert sind. Sie verweisen etwa auf das Porträt, erst recht indem sie (und der Titel sei Teil der Arbeit, sagt Scheibitz) „Donald“ oder „Mönch“ oder eben „Portrait“ heißen. Oder sie verweisen auf das Stillleben, erst recht indem sie „Tropfen“ oder eben „Stillleben“ heißen – und dies durch die Darstellungen und deren Verwandtschaft zu Fragmenten der Realität eher bestätigen als bestreiten. Was aber macht ein Stillleben aus? Welche Voraussetzungen muss ein Porträt mitbringen, um ein Porträt zu sein? Wie verhalten sich dabei Figur und Grund?
Wunderbar ist, dass in Bonn auch Malereien der 1990er Jahre gezeigt werden, als Scheibitz, der an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden bei Ralf Kerbach studiert hat, erstmals in Erscheinung trat. Seine erste Ausstellung war übrigens in der Galerie Gebrüder Lehmann und gemeinsam mit Eberhard Havekost, der heute ebenfalls Professor in Düsseldorf ist. Diese frühen Malereien sind kleinformatig, in dunklen erdigen Farben, noch in expressivem, pastosem Malduktus, der etwa einen mit Balken verbauten langgestreckten Dachboden konstituiert („Dunkle Landschaft“, 1995, 65 x 80 cm). Von dem Exterieur der „Offenen Gegend“ (1998, 150 x 270 cm), die eine Siedlung aus zurückgesetzten farbig gerasterten Fassaden in wechselnder Positionierung zeigt, ist es nur ein geringer Schritt zur perspektivischen Frontalität von „Ansicht und Plan von Toledo“ (2000, 270 x 200 cm), einem weiteren in Bonn ausgestellten Schlüsselwerk. Tatsächlich könnte dem ein vergrößerter Ausschnitt eines Stadtplans, kombiniert mit Luftaufnahmen zugrunde liegen. Die kleinteilige, von Gelb und Rot dominierte Fläche klappt vermittels ihrer Schrägen in die Tiefe. Das Geschehen wird in seiner Simultaneität forciert. Die Schneisen rücken die Binnen“schachteln“ auseinander, so dass der Eindruck des Labyrinthischen entsteht: als Stadtlandschaft, die sich vorm Betrachter auftürmt und in die man nach und nach vordringt. Und dann gerät die blau-graue diffuse Malerei der oberen Randzone in den Blick, sie wird zu Gewölk mit einem zeichnerischen Wirbel, der wie ein verwehtes Körperfragment anmuten könnte... Man müsste Toledo vor Augen haben! Der berühmte Manierist El Greco ist dort 1614 gestorben. Sein „Laokoon“-Gemälde mit den verdrehten fleischigen Gliedern zeigt im Hintergrund eben das bewölkte Toledo. - Es gibt weitere Bilder, die Scheibitz‘ Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte bestätigen. Hinzu kommt die Beschäftigung mit dem Film und überhaupt mit den Strategien des Suggestiven bildnerischer Mittel. Das gilt für alle Werke von Thomas Scheibitz, sie sind in ihrer verführerischen Einfachheit höchst komplex, und indem sie das Bildfeld versperren, leiten sie den Blick in die Tiefe. Auch das ist Teil der Ausstellungsregie im Kunstmuseum Bonn: An den vier Wänden des ersten Saals verweist eine neue Bildgruppe auf nicht weniger als die Himmelsrichtungen mit ihren Ausrichtungen auf das Dazwischen.
Thomas Scheibitz
Masterplan\Kino
bis 29. April im Kunstmuseum Bonn
www.kunstmuseum-bonn.de
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