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Tretet uns in den Hintern, liebe Theaterleute

Die biograph Ouvertüre Juli 2015

In Berlin reiben sich die Theatermacher gerade sehr am Kultursenator Tim Renner. Sie werfen ihm den Ausverkauf ihrer Kunst vor, weil der aus der Popmusikszene stammende Jüngling als Nachfolger für Frank Castorf einen Museumsmann aus London holen will, der nach ihrem Ermessen mehr für Events als für die klassische Schaukastentradition steht. Auch in anderen Städten haben die Theaterleute Stress mit Ämtern und Politikern. Es geht um gekürzte Etats, um mangelnde Unterstützung, um fehlende Aufmerksamkeit.

Man könnte auch sagen, dass die deutsche Theaterlandschaft in einem seltsamen Umbruch begriffen ist. Was früher Glutnest der Avantgarde war, droht, immer mehr zum Hort eines neuen Konservatismus zu werden. Es scheint vielen, die klagen, nur noch um die Bewahrung des Status Quo zu gehen. Über das Ringen um Bestände haben etliche Kreative vergessen, dass sie doch eigentlich die Welt im Großen und Ganzen verändern sollen und nicht nur das Kleinklein um sie herum.

Zu oft präsentiert sich das deutsche Theater in diesen Tagen als Ort einer zögerlichen Binnenrevision. Es geht, nicht nur in den Stücken, zu oft um zerrissene Ichs, um die Distanz zum Nächsten, um aufgeblasene Konflikte, bestenfalls noch um die korrupte Seite der sie unmittelbar umgebenden Welt. Das schränkt den Blick ein, der bei manchen nicht einmal mehr bis zum Tellerrand reicht.

Ja, es wird hie und da auch die Flüchtlingskatastrophe thematisiert, es werden Klassiker behutsam aktualisiert, und geldgeile Banker sind auch immer wieder mal ein schönes Motiv. Aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass das eigentliche Wesen des deutschen Theaters nach innen gekehrt ist.

Theater darf sich aber nicht einkapseln, Theater muss raus, muss sich an der Weltentwicklung orientieren, muss bestenfalls früher als alle anderen ahnen, wo das alles hinführt. Und dann muss Theater neue Wege zeigen, auf neue, noch nicht ausgetrampelte Pfade hinweisen. Ein Wegweiser, der keine Wege mehr weist, ist überflüssig.

Natürlich ist die Lust am Experiment begrenzt, wenn man viel zu sehr damit beschäftigt ist, den Mangel zu verwalten. Man gerät dann leicht in eine Spirale, die rasch nach unten führt. Sie besteht aus der Angst, dass Experimente noch mehr Zuschauer kosten könnten und dass Politiker weggebliebene Zuschauer als Argument für weitere Kürzungen nutzen, die dann noch mehr Theatermenschen von großen Gedanken fernhalten und den 367. Klassiker ansetzen lassen.

Vielleicht müssen wir neue Fördervereine gründen, auch wenn das furchtbar spießig klingt. Es geht darum, den wirklich Kreativen Freiräume zu schaffen und zu erhalten. Theater muss eine starke Lobby haben, auf die es sich auch verlassen kann, wenn mal was misslingt. Förderer müssen sich zwischen die Kreativen und die ahnungslose Politik werfen, eine Art UN-Blauhelmtruppe sein, die dafür sorgt, dass die Gedanken auf den Bühnen wieder frei werden und weit schweifen können.

Wir befinden uns mitten in einer Revolution. Alles wird digitalisiert. Wenn demnächst auch Brötchen und Milch in Zahlen angeliefert werden zum Selbstausdruck, wäre es nicht verwunderlich. Alles ändert sich, und der Mensch kommt nicht umhin, sich mit zu verändern. Theater muss sich da einmischen, muss diesen Prozess anschieben, beschleunigen, lenken und nicht nur den Mahner spielen, der sagt, so gehe es aber nicht.

Theater muss auf den Barrikaden stattfinden und nicht im kulturellen Småland, im Bällebecken der eigenen Verwirrung. Insofern fordere ich alle Theaterfreunde auf, ihr Theater zu beschützen, es aber gleichzeitig auch zu fordern. Schockiert uns wieder! So muss der Imperativ lauten. Zeigt uns, dass das, was wir tun, in die Irre führt. Tretet uns in den Hintern, liebe Theaterleute. Und fürchtet nicht die dummen Politiker. Die halten wir von euch fern. Wenn uns denn etwas liegt an einem Theater, das noch etwas zu sagen hat.

Hans Hoff

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