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Jovan Stojsin

Vom zweifelhaften Glück aus dem Atlas

biograph Ouverture Oktober 2012

Es ist gut, in diesen Tagen jemanden an seiner Seite zu haben. Die Tage werden rasant kürzer, es wird wieder viel gestorben, und die Zeit, in der man sich nicht mehr nach draußen wagt, weil man fürchtet von fallenden Temperaturen erschlagen zu werden, rückt gnadenlos näher. Hat man indes jemanden zur Seite muss man nicht gleich das vorhandene Mobiliar im Kamin abfackeln, um ein bisschen Wärme zu spüren, es geht halt auch mit menschlicher Nähe.

Mit ein bisschen Glück kann es also ein harmonischer Herbst werden, was nicht nur der Alliteration wegen ein schöner Gedanke ist. Das mit der Erwähnung des Glücks kommt nicht von ungefähr, denn gerade sah ich draußen wieder einige Gestalten torkeln. Es waren ausnahmsweise keine Teilnehmer eines dieser unsäglichen Junggesellenabschiede, es waren stinknormale Zeitungsleser, die in ihrem Blatt von einer großen Glücksstudie gelesen hatten und ob des Abschneidens ihrer Heimat trunken durch die Gegend lavierten. Düsseldorf ist demnach die zweiglücklichste Stadt im Lande, direkt hinter Hamburg und vor prickelnden Metropolen wie Dresden und Hannover.

Das ist natürlich ein feines Ergebnis, das sich prima macht in den Hochglanzbroschüren der Stadt. Wir sind die zweitbesten shiny happy people hier am Rhein. Juhu. Wir sind schön, wir sind reich, wir sind glücklich. Das reicht für ein kleines Glückbesäufnis. „Willste noch einen vom Glück?“, fragt der Barkeeper, und der Kunde lallt. „Na klar, tu mich noch einen“, sagt er und hofft, beim nächsten Ranking ganz oben zu landen.

Am Morgen kommen dann der Kater und die Frage, wieso es in Hamburg besser sein soll als in Düsseldorf. Was haben diese Hanseaten, das Düsseldorf nicht hat? Schließlich ist da oben an der Elbe später Frühling und früher Herbst. Wahrscheinlich wachsen sie jetzt schon die Schlittschuhe, weil übermorgen die Alster zufriert. Diese nordischen Holzköppe! Sitzen da nicht auch jene, die uns die Tagesschaumelodie klauen wollen, unser geliebtes klangliches Kulturgut? Nein, sie wollen sie nur verändern, sagen sie. So wie sie sie schon mehrfach verändert hätten. Kann man denen glauben?

Missgunst macht sich also breit, weil zweitklassiges Glück eben nur halbes Glück sein kann. Und dann nehmen wir uns vor, demnächst ein bisschen glücklicher zu sein. Nur, wie macht man das? Besser anziehen? Häufiger Zähneputzen? Die Antwort fällt schwer, und so setzt ein Wehklagen ein über die Ungerechtigkeit in dieser Welt. Das hat man nun vom Glück

Über all das Wehklagen sind dann jene Stimmen nicht mehr zu hören, die darauf hinweisen, dass Glücksstudien mindestens ebenso unnütz und blöd sind wie Bücher über Glück, die bezeichnender Weise viel zu oft von sich lustig wähnenden Kabarettisten mit Allgemeinplätzchen gefüllt werden. Bemerkt wird auch nicht, dass besagte Glücksstudie von der Deutschen Post stammt. Was bitte hat die Deutsche Post mit Glück zu tun? Soll die nicht einfach nur Briefe zustellen und pünktlich sein? Nein, sie muss einen Glücksatlas herausgeben und die Menschen einteilen in unterschiedlich glückliche Regionen, wohl in der Hoffnung, dass Menschen, die sich unterscheiden, mehr Briefe schreiben.

Wer seinen Blick von der Post ausrichten lässt, ist arm dran. Deshalb sei hier ein klarer Aufruf gestartet. Lest keine Glücksstudien mehr! Haltet euch fern von Glückskabarettisten! Esst keine Glückskekse mehr!

Geht stattdessen an den Rhein oder in den Park und schaut den Blättern beim Wegwehen zu. Denkt daran, dass ihr es selber ein bisschen in der Hand habt, wohin das Glück euch weht. Macht was mit Menschen! Menschen machen glücklich! Sonst nichts.

Hans Hoff

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